Ich habe diesen Vogel gefunden.
Am Wegesrand, klein und zerschunden.
Zuerst hatte ich Angst, ihn zu zerbrechen, ihn zu fest anzupacken, sein kaputtes Gemüt vollends zu ruinieren. Ich wollte ihn liegen lassen, der Welt nicht ins Handwerk fassen.
Aber irgendetwas an diesem Vogel hatte mich festgehalten und nach einigen Schritten kam ich zurück, setzte mich neben ihn und betrachtete ihn genauer.
„Brauchst du einen Freund? Jemanden, der dir die Welt erklärt und auf dich schaut? Ich brauche so jemanden, vielleicht kann ich so ein Freund für dich sein.“
Ich hob ihn also auf, er wehrte sich nicht. Es würde Zeit brauchen, wir würden uns daran gewöhnen müssen, uns zu haben, er würde sich daran gewöhnen müssen, zu leben, aber vielleicht waren wir gut für einander. Freunde findet man nicht jeden Tag und sie waren zu selten, um eine Chance im Wald liegen zu lassen.
Mit der Zeit wuchsen wir zusammen, der Vogel und ich. Sein Gefieder erstrahlte wieder in leuchtendem Rot, mir kam dann und wann ein Lächeln über die Lippen. Der Vogel und ich, wir hatten das gute Leben entdeckt und mit ihm die Farben, denn wir lebten es in tiefen Atemzügen, ohne Rücksicht auf die Welt, aber stets mit offenen Augen, offenen Toren. Wir haben den Beobachter gegeben und gingen darin auf. Wir waren das perfekte System.
Bis das System zusammenbrach. Die Tore waren wohl zu weit offen gewesen. Zu einladend die Weiten der Welt. Der Drang, etwas Besseres zu finden.
Ich hatte diesen Vogel gefunden.
Eine leere Voliere. Ein leeres Stück Leben.
Aufbruch. Abbruch.
zweimal jährlich in london
und einmal in paris bücher kaufen.
niemals ohne frischen haarschnitt nachhause kommen,
aber auch nie ohne bildmaterial antreten.
überall straßen mit darauf wandernden finessen beobachten.
nach möglichkeiten der eigenen befindlichkeit
mit den leuten, der stadt interagieren.
nur in anderssprachigen städten ubahnzeitungen lesen,
aber immer den stationenplan im auge behalten.
tagsüber in dem einen café vom ersten tag,
des nachts in hotelzimmern an plumpen sätzen feilen.
Dies ist mein zweiter Text zu Dominik Leitners .txt-Projekt. Das entscheidende Wort lautete „wünschen„.
Sie stehen auf immergrünen Wiesen,
ganz ohne ihr Glück des Schafseins in Irland zu begreifen.
Sie finden, das wissen wir, erst Freunde auf den vielen Straßen, wenn sie ihre freundschaftlichen Bande zur Bildung einer untrennbaren Front
gegen die allzu menschlichen Anmaßungen ihrer Hirten benötigen.
Roadkill ist der Ausdruck größter Ergebung in die Freunde. Beiseitestehen im Auge des Motorenrummels wird unser Mut sein.
—
Der Titel stammt von einem der ersten Einträge in ein Notizbuch. Es steckte wohl damals eine große Idee dahinter, die seitdem dem rudimentären Dokumentationsverhalten anheim ging. Jetzt, fast vier Jahre später, entstand dieser kurze Text daraus. Es zeigt sich vielleicht daran ganz gut, welche Rolle Zeit in der Entwicklung von Gedanken spielt.
Anfang Jänner fand ich mich am Fuß einer Skipiste wieder, beim falschen Lift und ohne Telefon, um meine Snowboardpartie zu erreichen. Eine ziemlich unerfreuliche Situation. Schlimmer war jedoch die Umgebung, in der ich knapp zwei Stunden warten musste. Denn wie das so üblich ist, war die Talstation des Lifts, bei welchem ich stand, neben einer Apres Ski-Hütte situiert. Und diese Apres Ski-Hütten haben eine verstörende Eigenschaft gemeinsam: Apres Ski-Musik.
Wir sprechen viel von Toleranz. Aber augenscheinlich ist diese Toleranz in unser Sprache noch nicht angekommen. Dies zeigt sich beispielsweise mit der Annäherung an beschriebene Skihütte, wo einem immer lauter Vokabular aus dem Umfeld der Jagd, angewandt auf das abendliche Erobern von weiblichen Personen, entgegenklingen. Ähnliches fand ich vor, als ich in eben diesem Etabissement aufgrund meiner betrachtlichen Wartezeit die Toilette aufsuchte. Von allen Seiten leuchteten mir Sticker mit Sprüchen wie „Wien braucht keine violetten Homos.“ entgegen.
Wieso akzeptieren wir solche Dinge in unserem Sprachalltag, wenn sie nur der Fußballkultur zugehörig oder dem Wintersportexzess zurechenbar sind? Solange sie sich ihre Wortmeldungen im passenden Diskurs bewegen, erhalten Sprecher und Sprecherinnen einen Freibrief, diverse Monströsitäten zu verbreiten. „Ist ja nur ein Sticker.“, „Das ist halt Apres Ski, das gehört dazu.“
Natürlich ist Sprache nur die halbe Tat, aber Sprache ist eben schon die halbe Tat. Durch unser Sprechen organisieren wir unsere Welt, es ordnet und stellt fest. Folglich ist, was in der Sprache akzeptabel ist, auch in Tat schwer zu verbieten. Sollten wir nicht die Sprache endlich als das sehen, was sie uns ist? Der Asphalt, aus dem unsere Straßen gegossen, die Ziegel, aus denen unsere Häuser gebaut sind?
Gesprochenes wird so oft als harmlos abgetan, doch es ist die Basis für alles Weitere. Deswegen braucht es mehr Aufbegehren gegen Sprache, wo sie uns im Vorankommen hindert. Wir müssen unsere Gesellschaft selbst modellieren, und Sprache ist vielleicht nicht der Ton, aber auf jeden Fall das Töpferstudio.
Zwei Menschen sitzen an einem Gartentisch vor der gelben Stuckfassade eines alten Herrenhauses. K., Ende zwanzig, trinkt Mineralwasser mit einer einzelnen Zitronenscheibe. Z., Jahrgang 1935, trinkt Kaffee, schwarz, Milch in einem Achtelglas nebenbei. Auf der anderen Straßenseite sammeln sich einige Jugendliche in gleichförmigen, silbernen Plastikanzügen.
Z: Siehst du die? Was die wohl tun hier?
K: Wen? Ach, die, die werden wohl agitieren. … Schweinehunde.
Wirklich eine Gemeinheit das.
Die Jugendlichen holen Spraydosen aus einer Sporttasche und beginnen, Menschenverachtendes an die Wand zu schreiben.
Sind dort. Hoffentlich bleiben sie … Hey! Lasst das. Hoffentlich dort.
Fast wie damals. Heute Wände, damals eben Auslagenscheiben. Und ich mittendrinnen, sag ich dir … Schweinehunde.
Sag, Opa, wie war das? Fandest du das gut damals? Vom Jetzt ganz unabhängig, natürlich.
Scweinehunde, alle! Und ich mittendrin. … Hey! Lasst das doch.
Du mittendrin. Wieso dann nicht woanders, Opa?
War erfordert. Weißt du doch. Konnte ja nicht. … Weil Zukunft. Da Jetzt.
Das ist wirklich schwach, Opa. So gegen das eigene Besserwissen … Was schreiben die eigentlich, die Agitierenden? … Hey! Lasst das doch bitte endlich! … Schweinehunde, schreiben dort Menschenverachtendes.
Die Agitierenden haben ihre Wand gänzlich in Farbe getaucht, sodass durch die Fülle der Schrift das Menschenverachtende im Ganzen aufgeht und schwer erkenntlich, für den zufälligen Passanten nicht mehr sichtbar sind und nur eine schwache Prägung auf der Oberfläche mancher Gedanken hinterlassen. Sie, die Agitierenden, bemerken jetzt die beiden auf der anderen Straßenseite und kommen, um auch die gelbe Stuckfassade des Herrenhauses zu beschreiben.
Jetzt kommen sie her, wunderbar.
Die Agitierenden sprühen unbeeindruckt durch diese wenig aggressive Unmutsbekundung Menschenverachtendes auf die gelbe Fassade.
Das ist wirklich. … Schweinehunde.
Willst du sie nicht abhalten, irgendwie? … Hey!
Kann doch nicht. Lass sie tun … Solange sie nur agitieren.
Hast du auch wieder recht, jaja. Wie damals.
Ist schon schlimm. Mittendrin, wir hier. Scheiße. … Wir Scheiße, scheiße, scheiße.
Innendrin ganz. Vielleicht sollten wir doch.-
Die Agitierenden kommen an den Tisch, schauen die beiden an und beginnen, als K. den Kopf nur undeutlich in diverse Richtungen bewegt, Menschenverachtendes auf seinen Körper zu schreiben. Der muss sich winden, um noch sprechen zu können, ohne Lackspray zu schlucken. Die Augen hält er geschlossen.
Viel zu sehr innen. Schweinehunde. Wir haben keine Zeit. Etwas grüne Farbe berührt seine Zunge und seine Mundhöhle. Hey!
Komm eben auf meine Seite! Von hier aus kannst du dich.-
Kann doch nicht.
Die Agitierenden packen ihre Spraydosen in die Sporttasche und nehmen K. auf ihre Schultern. Dann tragen sie ihn, aufgrund seines, von ihnen unterschätzten, Gewichts langsam, weg. Die Sporttasche bleibt auf dem Sessel zurück.
Kann doch nicht. Weil Zukunft!
…
Wie damals. Heute Wände, damals dann Schaufenster. Weil Zukunft. Zerbrechen mittendrin.
Z. stellt seinen Kaffee, schwarz, auf die Untertasse am Tisch. Dann leert er die Milch in die Tasse und schwappt den Rest aus. Dann die Zitronenscheibe des
OpfersKollaborateurs.
Dies ist mein erster Text zu Dominik Leitners .txt-Projekt. Das entscheidende Wort lautete „Gratwanderung„.
Wie weitermachen, wenn die Vergangenheit kein Arschloch ist?
— fokusvogel (@fokusvogel) 7. Januar 2015
There once was a poor child without a dad or mum, and everything and everyone was dead and noone was left in this world. Everything was dead there and so she went and looked for someone else day and night.
Because she couldn’t find anyone, she wanted to go up to heaven where the moon had a friendly face so she went to the moon but it turned out to be of rotten wood. So it went further, to the sun, which turned out to be only a rotten sunflower. When she can’t across stars, they were golden midges stuck in the sky like on a blackthorne put there by a shrike.
When she turned back home, Earth was only an overthrown haven and finally she found she was all alone sitting and crying, still sitting and crying.
Dies ist eine Übersetzung des „Märchen der Großmutter“ aus Georg Büchners Woyzeck ((Woyzeck beim Projekt Gutenberg)).
Sie bildet den Auftakt meiner diesjährigen Übersetzungsversuche. Es ist eine durchaus gut bekannte Stelle – so wurde sie beispielsweise von Jan Bosse in dessen aktuelle Inszenierung von Dantons Tod eingebunden. Durch das Transferieren ins Englische offenbart sie nochmal eine neue, vom Woyzeck unabhängige Bedeutung, nämlich die des Unzufriedenseins mit dem Status Quo und dem Entdeckenwollen und der Gefahr, nichts Besseres zu finden, jedoch das Alte nicht mehr oder zumindest nicht mehr in derselben Version aufrufen zu können. Diese Lesart soll auch der Titel Problems of explorers growing out their homes zum Ausdruck bringen.
In unregelmäßigen Abständen will ich weitere Stellen oder Gedichte übersetzen, vorerst vorrangig aus dem Deutschen ins Englische und möglicherweise umgekehrt. Sollte das Vorhaben, mein Italienisch wieder aufzufrischen fruchten, kann ich mir zu einem späteren Zeitpunkt auch einen Transfer ins Italienische vorstellen.
Anmerkungen zu meiner Übersetzung und Interpretation sind natürlich gefragtes Gut!
2014 hätten wir geschafft, mehr oder weniger. Es ist viel passiert und noch weniger weitergegangen in der Welt. Und wie das so ist, gilt es ein wenig Bilanz zu ziehen (wenn auch auf den letzten Drücker!). Da ich mich aber ohnehin das ganze Jahr über beschwerer, will ich diese Gelegenheit dazu nutzen, einen Blick auf die Habensseite zu werfen.
Persönlich habe ich heuer zumindest zwei ganz gute Arbeiten, eine zur Bewegung als Geschichtsbewältigung bei Arno Geiger und eine zur Funktion und Konstruktion von Gartenräumen bei Jules Verne, geschrieben. Literarisch ist auch so manches auf Papier gekommen, das meiste hängt allerdings noch im Limbus diverser Wettbewerbs- und Zeitschriftenredaktionen. Darüber kann man also noch nicht viel Aussagekräftiges berichten, vielleicht schreibe ich irgendwann über die komische Mixtur aus Hoffnung und Vernichtungsgewissheit, die dieser Prozess erzeugt, aber jetzt will ich ein bisschen auf das Werk anderer schauen.
Was hat mir dieses Jahr gegeben, jetzt immer kulturtechnisch gesehen?
Da wären vorerst die Bücher. Ich habe mich in meiner Auswahl auf diesjährige Erscheinungen beschränkt, aus Zeit- und Platzgründen, dem größten Problem all meiner kuratorischen Ambitionen. Deshalb weil ich auch noch andere Medien besprechen will, bringe ich auch nur meine Top 3 und nicht, wie vielerorts üblich, meine Top 10 dar:
Die Einzigen, von Norbert Niemann, erschienen beim Berlin Verlag.
Dieser Roman über die älter werdenden ehemaligen Mitglieder einer avantgardistischen Band hat viel Gutes, allen voran eine Stimme seines Protagonisten, die glaubhaft den Spagat zwischen nostalgischer Hoffnungslosigkeit und Zukunftsglaube schafft. Er beschreibt ein Gefühl, welches wohl viele kennen, keine Perspektive zu haben, aber trotzdem nicht aufgeben zu können. Einzig ein recht schwaches Ende platziert diesen Text auf dritter und nicht höherer Stelle.
Bilder deiner großen Liebe, von Wolfgang Herrndorf, erschienen bei rowohlt.
Wenn wir uns mit der Buchform von Arbeit und Struktur ein stückweit vom Menschen und Blogger Wolfgang Herrndorf verabschieden konnten, so ist dieser kleine Roman dieser Abschied von seiner Literatur und seinen herzlich verschrobenen Figuren. Ein Kunstgriff, welcher an Hofmannsthal erinnert, lässt eine genaue Zuordnung zu wahr oder falsch schon zu Beginn nicht zu und wirft so nochmal alle Regeln über Bord. Dass man die Unvollständigkeit erkennt, stört hierbei gar nicht, vielmehr spielt es verstärkend in das Konzept mit ein.
Gräser der Nacht, von Patrick Modiano, erschienen bei Hanser.
Ich kannte Modiano nicht, bevor er den Nobelpreis bekam, das Buch erstand ich mehr oder weniger im Vorübergehen von einem dieser Nobelpreistische, die nach der Verleihung vor allen Buchläden auftauchen. Und es erwies sich als Glücksgriff und fungiert für mich als perfektes Beispiel, was Literaturpreise neben der Ehrung und Finanzierung von Schriftstellerleben sein sollen: Ein großes Pappschild auf dem in dicken Marker und großen Lettern steht: „Hey, lies mal rein, wir finden das hier gut!“ Dass hierbei viel mehr junge, neue Literatur zum Zug kommen sollte, ist ein anderes Thema.
Gräser der Nacht ist mit Abstand das beste Buch, das mir 2014 unter die Finger gekommen ist. Der spielerisch leichte Wechsel zwischen den Jahrzehnten und Wahrnehmungsebenen , gepaart mit einem Plot, der scheinbar selbst noch nicht weiß, in welche Richtung er sich entwickeln will, während er passiert, erzeugt ein Leseerlebnis im wahrsten Sinne des Wortes und das Gefühl, bei nochmaligen Lesen könnte etwas ganz anderes erzählt werden.
Im Anschluss will ich ein paar wenige, zwei, um genau zu sein, filmische Werke herausstellen, die neben meinem exzessiven Nutzen meines neuen Netflix-Accounts herausgestochen haben:
The Zero Theorem, von Terry Gilliam.
Ein Film, der mich keine 48 Stunden später schon wieder ins Kino zieht, ist ein Novum. Dass ich begeistert davon war, kann man mittels meines Textes Nie mehr Tannenbäume unschwer erkennen. Gilliam hat eine Welt erschaffen, die in sich ganz neu und noch nicht ganz schlüssig, nach außen trotzdem kohärent und unserer heutigen nicht ganz unähnlich erscheint. Mit Christoph Waltz hat er zudem die perfekte Besetzung, die er daran zerbrechen lassen kann. Kein einfaches Vergnügen, aber dafür ein umso größeres.
Last Christmas, Weihnachtsspecial Doctor Who.
Niemals mehr gedacht, dass noch zu erleben, und doch ist es wahr geworden: Ein Doctor Who-Folge aus der Feder von Stephen Moffat, die kein riesiges (Plot-)Loch in meiner Seele hinterlässt. Mit Abstand die beste Story seit 12 und endlich eine Clara, die einem am Herzen bleibt.
So. Jetzt gibt es noch ein Thema und das wäre die Musik. In der Musik ist 2014 etwas passiert, das mich zuerst in ungläubiges Staunen und dann in helle Begeisterung versetzt hat: 1989.
2014 war das Jahr von Taylor Swift, dieses Album ist alles, was an Pop jemals gut war und was an Pop schon so lange nicht mehr gut war. Des immergleichen Country-Sounds entledigt liefert die Scheibe unnachgiebig selbstsichere Hymnen, ohne dem früher so allgegenwärtigen Blick zurück. Alles, was mich auf meinem verschneiten Balkon tanzen lässt, ist Goldes wert.
Schlussendlich will ich hier noch ein paar Blogs listen, die ich dieses Jahr besonders gerne gelesen habe:
Wir schreiben auf katkaesk.
Ich mag dich gut leiden. ebenda.
Herr Leitner vermisst unbekannte Verwandte. auf Neon|Wilderness. Ebenso die anderen Herr Leitner … Teile.
Immer nur. Nie. ebenda.
abgedichtet(3) auf kleinerdrei.
Das Problem mit halben Sachen auf viennella.
Und zuletzt in eigener Sache: Mein liebster Blogtexte 2014 war Einskommafünfzwei Kilometer.
Kai wollte weg. Wie, war ihm zunächst egal, Hauptsache war, dass er wegkam. Erst als man ihn fragte, wie er denn wohin wollte, fing er an, sich Gedanken über das Wie, Wann und Wohin zu machen. Nach reiflicher Überlegung kam er zu der Überzeugung, dass er mindestens fünf Tagesreisen weit reisen wollte, das so bald wie möglich. Und er wollte fliegen.
Kai war ein Igel. Er war Teil einer recht großen Population, angesiedelt seit Unzeiten mitten im Central Park. Viele widrige Umstände wie die steigende Mader- und auch Uhuanwesendheit im sonst so gemütlichen Park hatten seine Familie nicht vertreiben können. Er war also ein Kämpfer. Aber ein Flug über fünf Tagesreisen schien all seinen Bekannten utopisch. Das war ihm egal. Denn er hatte sich schnell einen Plan zusammengedacht.
Als Erstes musste er sich eine dieser Häuser suchen, die die Kleineren der Riesen so hilfreicher Weise gerne aufstellten. Das war schnell getan, denn die New Yorker waren ein wahrlich igelfreundliches Volk. An jeder Ecke sprossen um diese Zeit die Heime aus dem Boden. Er verbrachte also einige Stunden damit, sich einzurichten. Immerhin würde es eine längere Reise werden, das hoffte er zumindest. Diese Reise wäre die Erfüllung seiner Wünsche, sein Everest. Doch es gab noch viel zu tun.
Denn der nächste Teil seines Gefährts war um einiges schwerer zu organisieren als das Haus. Er musste etwas auftreiben, das seine vier Wände fliegen lassen würde. Techniker, der Kai war, versuchte er es mit Flügeln, wie sie die Vögel hatten, aber als er einmal dagegen stieß, flog ihm dieser Flügel auf den Kopf. Daraufhin musste er erstmal Schlafengehen. Als er am nächsten Nachmittag nach Draußen kam, äußerst benommen von dem Schlag und betrübt von dem Misserfolg, warf er all seine Pläne über Bord. Ohne etwas zu seinen Eltern oder Geschwistern zu sagen, ohne auch nur irgendeine Art von Proviant vorzubereiten, ging er los. Nun sind Igel nicht die schnellsten unter den Parkbewohnern. Er würde wohl Tage brauchen, um erst aus den Grünanlagen zu kommen.
Er trottete also gerade so über Sheep Meadow, als es auf ihn zukam. Ein weißes Ungetüm. Mitten in der Luft. Da kam ihm die Idee. Schnell sprang er auf den Plastiksack, sodass er nicht mehr davon konnte, dann lief er mit dem Ding im Maul schnellsten Weges zurück.
Bald war der Ballon montiert und mit ihm wuchsen auch die Hoffnungen in unserem kleinen Igel wieder an. Am nächsten Morgen wollte er seine Expedition starten. Davor hieß es erstmal ordentlich Energie tanken. Also Essen bei Mutti-Igel.
Morgens waren sie dann alle da, um ihn zu verabschieden und ihm Glück zu wünschen. Das Wetter war perfekt, leichter Wind von hinten.
Abheben. Steigflug. Nach unten winken, aber lieber erstmal nicht zuviel bewegen, sonst Fallen. Stakkatoatmen.
Vor lauter Aufregung dachte er erstmal an nichts und das nur in unzusammenhängenden Worten ohne Kausalitäten. Aber als sein Gefährt stieg, sank sein Adrenalinspiegel und er konnte sich umblicken. Erst jetzt bemerkte er, wie hoch er schon gekommen war. Dabei hatte er in all seinen Ausführungen nie an die Vertikalität seines Unterfangens gedacht und jetzt war er schon auf Höhe des zweiten Astloches. Er erwartete Angst, aber sie war nicht da. Stattdessen entdeckte er die frische Luft und die unglaubliche Ferne, die er erreichen wollte. Dort musste alles besser sein, dort wo das Grün in Grau überging.
Es ging vorwärts, seine Heimatwiese hatte er schon längst hinter sich gelassen, wie er bei einem Blick nach unten, der ihm einiges an Überwindung kostete, merkte. Alles lief großartig, er kam schnell und ohne Probleme voran.
Da sah er etwas Schönes. Eigentlich das Schönste. Wir würden es Schmetterling nennen. Er kannte es nicht, wollte es aber haben. Also musste er es sich nehmen. Es war recht einfach: Etwas aus dem Ballon lehnen und greifen.
Fallen.
Fallen. Tausend Tode sterben. Trotzdem noch leben. Wohl bis zum Landen.
Fallen.
Aufkommen. Gedanklich tot sein. Das schöne Ding im Himmel verteufeln. Die Augen öffnen. Weiterleben.
Kai verstand gar nichts. Nur, dass sein Abenteuer aus war.
„Willkommen im Central Park Zoo! Ich bin Joe. Wer bist du für ein Vogel, der nicht fliegen kann?“
„Ich bin Kai, und ich bin ein Igel. Fliegen kann ich nicht, nur Abstürzen. Was bist du für ein Wesen? Ein Riesenriese?“
„Ich bin eine Giraffe. Joe, die Giraffe. Ganz easy.“
„Cool. Du bist ziemlich groß, Joe. Da hast du’s gut. Siehst die ganze Welt, bis dorthin wo das Grün zu Grau wird. Dort wollte ich hin. Und jetzt kann ich es nicht einmal mehr sehen. Von nun an werde ich der unglücklichste Igel auf der ganzen Welt sein!“
„Achwo! Igel Kai, heute ist dein Glückstag! Joe findet es nämlich sehr mutig, als so kleines Tier, so hoch zu fliegen. Deswegen will ich dir helfen. Kannst du klettern? Dann kletter‘ mal hoch, bis auf meinen Kopf!“
Und so wurden Kai, der fliegende Igel und Joe, die coolste Giraffe, die New York City je gesehen hatte, zu Freunden. Symbiose.
Kein Schnee im Dorf diesen Winter bleibt er aus und mit ihm die Vorfreude und ihr Gut, wir stehen vor dem Tor in Hemdsärmeln und hoffen, zu erfrieren, das wäre unser größtes Glück, doch erst mit den letzten Thermorezeptoren stirbt die Hoffnung ganz zuletzt, darum haltet hoch das Halluzinogen: Weiße Weihnachten.
Wir stehen in einer Badewanne. Diese Badewanne bahnt sich ihren Weg durch einen Ozean aus verbrannten Tannenzapfen. Irgendetwas ist falsch gelaufen.
Als wir zuerst hier ankamen, waren wir nicht nur allein, sondern alles ganz anders. Wir als Kollektiv tendieren dazu, sowohl Gesellschaft, als auch Veränderung ablehnend gegenüberzustehen, wie ärgerlich.
Unser Strand ist nun eine Badewanne und das Gestirn, welches wir ins Meer geworfen haben, musste wohl, als wir gerade mit uns selbst beschäftigt waren, die gesamten Weltwasserreserven verdampft und die – uns in ihrer Existenz zuvor nicht bekannten – Tannenzapfen zur Gänze verschmort haben.
Wir stehen in einer Badewanne und um uns herum stehen sie in Abertausenden identen Badewannen, scheinbar ohne vom Fleck zu kommen, was wohl auf die vorherrschende Flaute zurückzuführen ist, wir wir glauben, wobei der in unserer Nachbarsbadewanne Stehende uns beipflichtet. Er befindet sich in Rufweite, wie etwa vierunddreißig weitere in Badewannen stehende Personengefüge.
Das Ende ist also ein ewiges, digitales Badewannenstehen oder das Versinken im Tannensamenruß. Zu entscheiden, was schlimmer ist, überlassen wir uns Übergeordneten, wir als Kollektiv wollen nur das Rennen gewinnen, damit das Ende vorbei und wir wieder allein sind. Doch bewegt sich hier seit dem Ende wegen der großen Flaute – wie die Windstille mittlerweile in den meisten Badewannen in unserer näheren Umgebung genannt wird – nichts mehr, wie wir schon gesagt haben. Ein Weg wäre – denken wir uns – von unserer Badewanne zur nächsten und so weiter zu springen. Doch das trauen wir uns als Kollektiv nicht zu und außerdem haben wir einige logische Einwände dagegen, die lauten, wie folgt:
Erstens: Wir wissen nicht, wo das Ziel unseres Rennens ist. Daher können wir nicht beginnen, daran teilzunehmen. Aktiv. Sollten wir schließlich in die falsche Richtung springen, würde das,
zweitens: den uns umstehenden Badewannenbestehenden auffallen und jenen, die womöglich die Position des Zieles kennen, oder aber rein zufällig in dessen Nähe verortet sind, was wir nicht außer Acht lassen dürfen, allerdings keine Methode zur Fortbewegung sehen, den letzten Stein in ihrem Puzzle auf einem – gelindegesagt – goldenem Tablett servieren.
Und drittens: wollen wir unsere Badewanne nicht verlassen. Wir können uns nicht vorstellen, uns nach dem Ende an einem anderen Ort als unserem wiederzufinden.
Also bleibt uns für diese Ewigkeit nur, in einer Badewanne inmitten verbrannter Tannenzapfen zu stehen und auf Wind zu warten.
…
Nie mehr Tannenbäume.
Dieser Text ist meine Reaktion auf Gedanken zu Terry Gilliams Film „The Zero Theorem“.