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jahr null in archiv,

  

 

raum und leere,

körper und ton.

 

wir nehmen, was wir müssen

nichtsein dürfen wir nicht

noch mehr existenz ist

gezwungenermaßen sinn

wir müssen, was wir dürfen

werfen unsselbst in die waagschale

wir, wir, wir sind das material dieser zeit

nichtsdestotrotz enden wir, abundzu

im jahr null werden wir immer neu wir

kollektive trauer ist unser sieb, wir sind geschliffen

wir, wir, wir, jetzt ohne euch

 

körper und ton,

raum und leere.

 

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Der vorliegende Text ist ein Beitrag zum Projekt .txt, Stichwort „nichtsdestotrotz“.



Vermeintlicher Verrat an den promethischen Menschen in archiv,

Eines Tages war er weg. Natürlich hatte er nicht gesagt, dass er bleiben würde, aber nach all den Feiern und Festreden war er geblieben für den bloßen Alltag, also war er irgendwie einer von uns geworden, allmählich. Oder nicht.

Er hatte es gebracht und alles war schnell geworden in uns, um ihn herum. Er war in das Gästezimmer des Hauses gezogen und hat aus dem Fenster auf den Garten geschaut, viele Stunden. Dann, im Frühling hat er unsere Arbeiten im Garten von dort aus kommentiert, aber das war das Unsere, da waren wir die Weiteren, er konnte uns in dieser einen Sache nichts zeigen. Was ihn traurig machte, auch wenn er es nie zeigte. Immer hatte er ein stolzes Gesicht hervorgekehrt, wir waren doch die Seinen geworden. Vielleicht war er deswegen gegangen. Weil wir etwas wussten, was nicht er uns gegeben hatte. Wer wir nicht nur die Seinen waren, vielleicht.

Wenn die Tage kürzer wurden, wurde er immer höheren Mutes, da war sein Lachen ein echtes. Besonders an den stürmischen Abenden ging es ihm gut. Wenn wir uns in einem der großen Zimmern zusammensetzen um den Kamin, schien er wieder von sich überzeugt.

Waren diese Stunden nicht genug? Anfangs waren sie es sicher, aber Zeit macht unempflindlich gegen das Glück. Was irgendwann einmal vielleicht genug war, reicht später nicht, darum. Und jetzt war er weg, deswegen wohl, er hatte sich zu sehr an unsere guten Momente gewöhnt, war immun geworden gegen guten Willen. Wir hatten keinen Effekt mehr, nicht auf ihn und – der Schnelle, mit der die Reaktion auf sein Nichtmehrdasein in Gleichgültigkeit unterging – nicht auf uns. Es war Betrug an uns promethischen Menschen, dass er nicht mehr da war, soviel war sicher. Aber wer uns betrog, dessen waren wir uns nicht mehr klar.



Mein Augenlicht in archiv,

Mein Augenlicht hatte ich in der Schule vergessen, weshalb ich am Heimweg das Elend, das mir ins Gesicht springen wollte, nicht bemerkte und folglich links liegen ließ.
Als ich am nächsten Tag wieder sehen wollte, war es schon mit jemand anderem gegangen und ich blieb weiterhin allein.
In Betracht der weiteren Geschehnisse wohl besser so. Denn das Elend wurde gemütlich und undurchsichtig. Als dieser andere, mit dem es mitgegangen war, erkannte, was es war, nämlich das Elend und nicht etwa eine selbstbefüllende Dose Bier, ließ er es ebenfalls bald – nahezu mit sofortiger Wirkung – links liegen, während dieser andere rechts weiterging. Was das Elend wütend machte und es dazu brachte, ihm mit hitzigem Geheul zu folgen. Was wiederum keinen gerade ruhigen Schlaf gewährleistete, wie der andere mir später gestand, als wir Freunde geworden waren. Und ruhiger Schlaf, der war und ist mir immer schon entscheidend gewesen.
Von all dem wusste ich nun aber nichts. Ich war daher betrübt. Und wie das so ist, führt die Betrübtheit zu nichts, außer Kurzschlussreaktionen.
Meinen Schuldigen an der Misere fand ich und begann daher immer häufiger, mein Augenlicht nach dem Unterricht mit den Filzpantoffeln in den Spind zu sperren. So übersah ich das meiste und erlebte ebenso viel.
Anfangs machte mir das Dunkel noch Angst, ich bereute mein Tun spätestens zuhause bei den auftretenden Problemen mit den Aufgaben. Auf so einen dunklen Tag gab ich mein Augenlicht wochenlang nicht aus der Hand.
Doch es war auch aufregend und so tat ich es immer wieder und häufiger. Bald wurden meine Schritte sicherer und mit etwas Geschick und List lernte ich auch im Unterricht unter dem Radar zu bleiben, was mir die ewigen Predigten der Lehrer mein Augenlicht betreffend ersparte. Ich kam also ganz gut durch.
Ich schaffte es, durch Übung und Präzision, die notwendige Langsamkeit zur Grazie zu formen und aus meiner Bewegung ohne mein Augenlicht ein Markenzeichen zu machen. Mit den Zeiten legte ich auch das letzte Stolpern ab, behielt mir aber die Distanz, ich war für alle stets in Sichtweite, aber auch nie näher. Als ich meinen Abschluss machte, war ich unfassbar geworden.
Die darauffolgenden Jahre waren von einem strahlenden Erfolg geprägt. Mein Augenlicht trug ich jetzt nur noch zu Anlässen. Bei diesen erklärte man mir dann stets unisono, wie glänzend dieses nicht sei, wie neu würde ich aussehend, unwissend, wie neu mir mein Augenlicht in Wirklichkeit war. So eroberte ich in einer ungesehenen Leichtigkeit Gesellschaften, in denen ich meiner Herkunft nach nicht einmal Sekt servieren hätte dürfen. Aber mein Auftreten war in diesen Kreisen schnell zu einer Sensation geworden und einem Spektakel stellt man keine Fragen, man liest ihm Wünsche von den Augen ab. Da ich keine hatte, nahmen sie mich herzlich auf und reichten mich durch die Ränge, bis ich eine Position erreicht hatte, die auch für mich ergiebig war.
Meine auftretende Unzulänglichkeit in Mode- und prinzipiellen Farbfragen überspielte ich mit einem Schwur auf schlichte Eleganz, mit schwarzen Anzügen konnte man glücklicherweise noch nie etwas falsch machen, was mir mein Augenlicht bei der Geburtstagsfeier meines alternden Förderers, dessen Geschäft ich bald darauf übernehmen sollte, bestätigte.
In der Position, die ich in diesem Unternehmen übernahm, wurde mein wahres Talent offensichtlich: Bauchentscheidungen. Ich hörte mich überall um und folgte dann blindlings meinem Gefühl und ließ danach agieren. Ich war ein Genie des Delegierens, ich war der unentbehrliche Mittelmann und tanzte am Parkett zwischen großen Männern und großen Informationen hin und sehr, so andächtig, dass mir viele bald aus freien Stücken ihre Fäden in die Hände legten.
Meinen Aufstieg durch die Gesellschaften konnte also kein Einhalt geboten werden. Denn sie alle vertrauten meinem Auftreten, meinem Antlitz, und ich entschied mich dazu, sie nicht zu enttäuschen. Also kam ich ganz gut durch.
Nach vielen Jahren gab ich Anfang diesen Jahres die Führung des Unternehmens meines Gönners, welches ich ganz zu meinem Geschäft gemacht hatte, ab und bezog am selben Tag meines Rückzugs aus dem Tagesgeschäft einen Aufsichtsratsposten. Und so tanzte ich auch dieses Jahr auf allen Parketts, die in meiner Branche von Bedeutung sind, Das war ein Glücksfall, wahrlich, denn es stellte sich bald nach meiner Pensionierung heraus, dass ich mich zuhause, als ich länger alleine und untätig war, nach meinem Augenlicht sehnte und begann, es immer häufiger aufzusetzen.
In mir wuchsen Erinnerungen an meine Kindheit, als ich noch gedankenlos mit ihm durch die Welt ging. So trug ich mein Augenlicht wieder mit ansteigender Regelmäßigkeit. Das besänftigte meine Retrospektive für eine Weile, doch als ich bemerkte, dass meine wachsende Sentimentalität zunehmende Gebrauchsspuren an meinem Augenlicht hinterließ, saß der Schock tief. Ich sperrte es rasch wieder ab und nahm mir vor, es in Zukunft noch spärlicher auszuführen.
So sah man mich wieder öfter in meinem alten Büro, wo ich allen hilfsbereit im Weg herumstand, bis meine Nachfolger eingestanden, dass sie auf meine blinde Gewissheit nicht verzichten wollten, ja, nicht konnten, weswegen sie mir einen Beraterposten anboten. Die Feierlichkeiten ließ ich allerdings immer mehr unbesucht verstreichen. Ich wollte mein Augenlicht nicht unnötig strapazieren und ohne entsprach es nun wirklich nicht der Abendgarderobe.
Doch ich hatte in den letzten Monaten das Gefühl, seit man mich nur noch im Büro, also nur noch ohne mein Augenlicht antraf, begannen die Menschen, den Respekt, den sie mir entgegenbrachten, von mir abzuziehen. Natürlich wurde auch jetzt noch jeder Rat, jeder Tipp, den ich von mir gab, minutiös umgesetzt, doch mir schien es, als ob sie es nur noch einer Idee von mir zuliebe taten, das aktuelle Ich, das war ihnen unverständlich geworden. Es war, als ob mit meinem Augenlicht auch das ihrige von der Bildfläche verschwunden war.
Allerdings konnte ich bisher mit diesem Gefühl gut leben und wollte keine Gedanken an mein Augenlicht oder an das Augenlicht anderer verschwenden. Seit Monatsanfang stürzte ich mich daher auf die Umstrukturierung, die ich vor Jahren angedacht, aber aufgrund des Fehlens des richtigen Umsetzers vor mir hergeschoben hatte. Nun, da ich das Tagesgeschäft abgegeben hatte, würde ich das selbst erledigen, dachte ich. Und ich ging mit festem Fuß ans Werk. Es geschah das, was ich mir erhofft hatte: Ich hatte eine neue Obsession gefunden. Aber bald erkannte ich, mit welcher Mühe es verbunden war, ohne Augenlicht tätig zu sein, ich verwand meine ganze Kraft darauf.
Vor zwei Wochen zog ich mich aus dem Büro zurück, der Anfahrtsweg schien mir eine überflüssige Verschwendung meiner Arbeitszeit zu sein. Zuhause stand mir dagegen nichts im Wege, den ganzen Tag mit dem Projekt zu verbringen. Irgendwo musste die Umstrukturierung ja beginnen.
So, vertieft in die systematische Veränderung der Welt um mich, fanden mich die Beamten vor, als sie heute um 11:15 läuteten. Sie mussten es mehrmals versuchen, bis ich sie hörte. Die letzten Nächte hatten zu wenig Schlaf gesehen, denn das Projekt nahm Formen an.
Ich hörte den einen, älteren Beamten etwas Längeres sagen, doch ich verstand nur, dass sie mich baten, sie auf das Revier zu begleiten. Schnell stimmte ich ein und zog mir die Schuhe an. Ob ich noch etwas anziehen wolle, fragte der jüngere Polizist, dafür wäre genug Zeit. Ich überlegte kurz, aber nein, das war kein Anlass für Festkleidung. Ich zog also nur eine Windjacke über.
Im Auto herrschte Stille. Ich wusste sie nicht zu deuten, da ich nicht wusste, zu welchem Zwicke sie mich abgeholt hatten. Durften sie nicht mit mir sprechen, wenn ich auf der Rückbank eines Polizeiwagens saß?
Ein Luftzug war spürbar, als der Mann vor mir sein Fenster öffnete. Er, es war der jüngere, fragte, ob das in Ordnung sei. Ich bejahte. Beistand zur Staatsgewalt, ich sah mich und meine Situation im Aufwind. Ich schien ganz gut durchzukommen.
Als wir am Revier zum Halten kamen, schien es mir, als wollte einer der beiden mir die Tür aufhalten, was mich wunderte, aber ich war schneller und stand schon neben dem Auto, als er bei mir ankam.
Beim Betreten des Gebäudes kam mir erstmals der Gedanke, dass es vermutlich hilfreich wäre, zu wissen, weshalb ich hier war. Worüber sie mit mir sprechen wollten.
In ruhiger, beruhigender Stimme des Älteren wurde der Name meines besten Freundes genannt und, dass ich jetzt sehr stark sein müsse. Ich verstand es nicht und als sie weitergingen in den nächsten Raum, konnte ich ihnen nicht folgen. Ein Beamter nahm mich am Arm. Ich müsse jetzt sehr stark sein, wiederholte er.
Man hatte ihn heute Morgen im Park gefunden. Kopfschuss, mitten durch die Ohren. Das Elend kniete neben ihm, als man ihn wegtrug. Ich verstand auch das nicht und fragte, was sie denn bitte von mir wollten, das solle man mir doch mitteilen. Identifizieren, wenn es geht. Ich war als seine Vertrauensperson eingetragen, auf einem Zettel, zusammengeknäult in seiner Geldbörse.
Es war ein Anlass. Ich konnte ihn nicht identifizieren, ich hatte mein Augenlicht zuhause gelassen. Ich wusste nicht, was zu tun war. Anscheinend zitterte ich, denn der Ältere legte seine Hand auf meinen Arm. Mein Atem beruhigte sich aber nicht, auch nicht, nachdem eine zweite Hand auf mir zu ruhen kam.
Ich brachte kein Wort heraus, ich wusste nicht, was ich tun konnte. Sollte ich der Polizei vielleicht sagen, dass ich mir nicht sicher war? Nein, das würde mir niemand abkaufen. Entweder er war es, oder er war es nicht.
Ich sollte ihnen einfach sagen, dass ich nicht fähig war, meinen Freund zu erkennen. Schlicht. Das war alles, was ich tun konnte, tun musste. Aber das konnte ich nicht, das würde alles zerstören, mein Leben, wie ich es kannte, wäre vorbei, wenn ich zugeben müsste, ohne mein Augenlicht auszukommen. Zwickmühle. Der Griff an meinem Arm wurde fester und auch das Zittern. Vielleicht zitterte ich nicht, vielleicht schüttelte der Mann mich auch, damit ich zu reden begänne. Nicht einmal das konnte ich unterscheiden. Ich hatte mein Augenlicht zuhause gelassen. Ich würde gestehen müssen.
Doch die Polizisten kamen mir zuvor. Mein Beileid, presste der Jüngere wie einen Befehl zwischen den Lippen hervor. Es klang aufrecht, so als ob er es ehrlich meinte, aber bis jetzt nicht die richtige Form dafür gefunden hätte.
Sie hatten mich aus der Affäre gezogen, meine körperliche Reaktion interpretiert, so dass ich kein Wort sagen musste. Entspannung. Ich hörte, wie eine Decke über etwas Kaltes gezogen wurde, wie sie für einen Moment an der Nase hängen blieb und sie im nächsten Moment zudeckte, für immer.  Vielleicht.
Ich drehte mich um und ging, nachdem ich mich vom Griff der Beamten gelöst hatte, wortlos. Ich nahm exakt den selben Weg zur Tür, auf dem ich herein gekommen war. Als ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen hörte, fing ich an zu laufen. Mein bester Freund war vielleicht tot.
Ich wurde blind schneller, ich kannte ja den Weg. Vielleicht. Ich verstand nichts mehr, weil ich mein Augenlicht nicht abnutzen hatte wollen. Hatte ich jemals verstanden? Wie konnte ich glauben, irgendetwas zu wissen, irgendetwas zu kennen, Menschen oder das Geschäft, wenn ich meinen Augen nicht trauen konnte? Die Leute in der Firma, am Parkett hatten mir vertraut, mein Freund nannte mich vielleicht gar seine Vertrauensperson. Ich beschloss, sie nicht zu enttäuschen.
Ich beschleunigte meinen Schritt, ich würde nach Hause laufen und meinem besten Freund, wenn er es denn war, die Ehre erweisen, samt meinem Augenlicht. Schneller. Und von da an würde ich es wieder mit mir führen, denn woher wusste ich denn, was die Menschen um mich wirklich taten? Folgten mir die Beamten? Vielleicht. Schneller. In die nächste Straße links einbiegen, dann geradeaus. Ich dachte daran, einen kleinen Umweg zu nehmen, um die Verfolger abzuschütteln, aber schon im nächsten Moment verwarf ich die Idee eiligst wieder. Sie hatten ja ihr Augenlicht, das brächte also nichts. Stattdessen wechselte ich die Straßenseite. Nicht so hektisch, ich fühlte Schwindel aufsteigen. Sie konnten nicht. Da war niemand. Mein bester Freund war vielleicht tot. Niemand war da. Ich beruhigte mich etwas, musste einen Fuß fest auf den Boden setzen. Schwinden.  Vorsicht üben, ich wollte nicht stolpern, also blieb ich stehen.
Mein bester Freund war vielleicht tot. Ich hörte wieder die Decke, die mich zudeckte, kurz.
Ich sollte Blumen kaufen. Vielleicht würde ich ja jetzt das Elend sehen, vielleicht, jetzt wo er weg war, war es immerhin allein. Sie hatten gesagt, es war im Park gewesen. Ich hatte das Gefühl, es war noch in der Gegend.



Wie aufgezogen | Molières „Eingebildeter Kranke“ tänzelt im Burgtheater in archiv,

2015-12-08 18.03.25-2

Herbert Fritsch, der ehemalige Castorf-Mime und multimedialer Genius der Bühnenkunst, inszenierte zum ersten Mal in Wien. Mit Molières letztes Hurra, dem eingebildeten Kranken, liefert er ein Gesamtspektakel ab.

Das erste Wort, dass mir in den Kopf kam, als die typischen für Fritsch sehr schrille Inszenierung, die ebenso typisch neonbunt ausstaffiert ist, begann, war Spieluhr. Wie eine Spieluhr startet das Stück gleich mit voller Geschwindigkeit los, es gibt keine sachte Einführung, kein Gewöhnen. Und wie in einer Spieluhr funktionieren alle Figuren samt ihren Bewegungen entlang unsichtbaren Bahnen im Takt des omnipräsenten Cembalo-Stacchatos. Drei Cembalos bilden auch das Bühnenbild, von ihnen geht die Struktur der gesamten Inszenierung aus.

In einem so mechanisierten Bühnenstück muss natürlich am sehr umfangreichen Text gespart werden, was zwar zu manch kleiner Undeutlichkeit und Unschärfe führt, aber der Unmittelbarkeit der Aufführung in die Hände spielt. Gerade Joachim Meyerhoff als Monsieur Argan kann seine große körperliche Spielweise und seine fast schon charakteristische zum Wahnsinn tendierende Verzweiflung hier voll zur Geltung bringen und tänzelt so um die schon längst offenbaren Tatsachen der Untreue seiner Frau, die mit unglaublich packend-reißendem Diktum als metallisch anmutende Ballettpuppe spielende Dorothee Hartinger, oder allem voran natürlich den falschen diagnostischen Spielen seiner vielen Ärzte herum.

Der Automatismus, mit dem sich die Bewegungen und die manches Mal rasant hervorsprudelnde Sprache auf der Bühne entfalten, transportiert den Geist des Modus Comédie francaise – die Dramengattung, nicht das Theaterhaus – in die Gegenwart, ohne dem wohl schon verstaubten Tanztheater nachzuweinen. Es ist das Tänzeln, aus dem diese Inszenierung ihre Energie gewinnt und aus dem der Konnex zum aktuellen Selbstverständnis entnommen werden kann: Wir sind vielleicht nicht so gutgläubig wie Ardan oder gar so medizinkritisch wie das Hausmädchen Toinette, genial gespielt vom eingesprungenen Markus Meyer, aber doch tänzeln wir wie die Figuren Molières um Diagnosen, unwillig und unfähig vielleicht, zur Ruhe zu kommen. Der Takt des Cembalos ist der Takt einer Welt, die sich auch ohne die Kranken weiterdreht und diesem Takt muss Folge leisten, wer nicht zurückbleiben will. Und wem das Taktgefühl abhanden kommt, für den liegen die passenden Mittelchen, Klistierchen und Injektionen schon bereit.

Natürlich lässt Fritsch viel Textimmanentes außen vor. Aber das ist, was Inszenierungen tun: Konzentration auf Aspekte, was schon impliziert, das andere Aspekte aus dem Fokus geraten oder wegfallen. Bei allen inhaltlichen Schwachstellen, die Konzentration auf Struktur und Modus ist auf voller Länge gelungen.

 

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unsere grauen Augen in archiv,

Dass wir alt wurden,

merkte man in ihrem Gesicht

nicht in ihrem Gesicht

aber in ihrem hundsmüden Blick.

 

Müde waren sie früher nicht,

unsere grauen Augen,

ihre Augen, ihre Augen

waren hellwach, bis sie

nicht mehr waren.

 

Jetzt sind sie müde,

ihre alten Augen,

und man sieht mir an,

dass wir daran leiden.



DYS 1.01: Set-up. in archiv,

dys101

Eine Bar. Gedimmtes Licht, rauchgedunkeltes Interior aus Holz, es blitzen nur die goldenen Zapfhähne auf, ab und an, aus dem Stimmengewirr tönen nur die zusammenstoßenden Kugeln auf den Billiardtischen heraus. Eine Bar.

Er tritt ein, hinter ihm fliegt die Tür zu, er kann gerade noch einen Schritt vorwärts machen, um seine Achillesferse vor dem Schlag des Flügels zu schützen. Vielleicht ist das eine Taktik, Unentschlossene so einen ganzen Schritt hinein ins Lokal zu zwingen. Da entscheidet man sich gleich viel leichter, zu bleiben. Alles ist Marketing.

Diese Gedanken gehen Viktor zwar wie immer durch den Kopf, allerdings in enier mit Highspeed komprimierten Form, während sein Blick schon durch den Raum, bei den üblichen Verdächtigen anhaltend, rast und nach einem Schild mit der neonleuchtenden Aufschrift „WC“ sucht. Noch ist dies nicht von Erfolg gekrönt und er wäre trotz rapide steigendem Harndrangs schon wieder geflohen, wäre da nicht der Marketinggag mit der zufliegenden Schwingtüre gewesen. Viktor steht also mitten in einer Bar, einem Etablissement, in dem vorrangig Bier ausgeschenkt wird. Noch immer kein Hinweis auf Toiletten. Alles wird dunkler, außer den Zapfanlagen, die noch stärker im Goldblitz stehen. Er erinnert sich plötzlich an all jene traumatischen Kindheitserinnerungen, aber nicht mal die sind genug, um seine höfliche Angst zu überwinden und einfach zu fragen, nein. Die Angst davor, jemandem zur Last zu fallen, ist für Viktor größer als alles. Höflichkeit trumpft sogar nasse Hosen.

Doch dann ein Wunder! Der Barkeeper nickt wissend und deutet zum hinteren Ende des Raumes, dort wo im Halbdunkel Billiardkugeln aufeinanderstoßen. Er versteht und Viktor folgt dankbar seinem Weis. Schnell geht er vorbei an besetzten Tischen und an auf Hochtouren laufenden Spielen  – im Augenwinkel sieht er einen Alten blöffen – ins hinterste Eck, wo eine kleine Tafel, ganz ohne Neonaufschrift, das Bad ausschildert. Das Ziel vor Augen.

„Hi!“

Viktor sieht die Stimme nicht, nur die einmal weiß gewesene Tür mit dem Männchen darauf, er muss erst seinen Blick enttunneln.

„Hi!“

Eine Stimme aus der Abteilung Produktdesign. Er lächelt, deutet aber seine präkere Lage an, es wird genickt und gelächelt. Erleichtert biegt er ein.

Eintreten, absperren. Freiheit.

Die Wände der Kabine sind beschmiert. Der schmale Aufbau provoziert aus der sitzenden Perspektive geradezu claustrophobische Gedanken.

Viktor taucht in den Bildschirm in seine Hand ab, um diese Gedanken abzuschütteln, braucht es die unendlichen Weiten des Internets. Danke Steve Jobs und wer auch immer das Genie hinter dem Android-System ist. Ihr habt die gefühlt ewigen Aufenthalte auf öffentlichen Toilettenanlagen zwar zeitlich exponentiell verlängert, die Zeit in den engen Kästen aber erst richtig überlebbar gemacht. Viktor ist immer geneigt, eine der Nummern anzurufen, nur um zu sehen, wer abhebt. Er weiß, dass es dumm ist.

Ohne es zu merken, hat er die Ziffern getippt. Aber er hat genug Eigenbestimmung, um nicht zu wählen. Stattdessen öffnet er das SMS-Fenster, vielleicht will er später noch schreiben, aber im Moment beschäftigt ihn schon wieder ein anderer Gedanke:

Wie heißt „Hi!“ vom Produktdesign?

FADEOUT.



Die Expo-Kultur: Gedanken zu den vermittelten Inhalten in archiv,

Expo 2015: Kultur und Inhalte

Nachdem ich bisher über die räumlich-ästhetische Seite der Expo 2015 in Mailand geschrieben habe, will ich nun ein paar Worte zu inhaltlichen Aspekten sagen.

Mit dem ausgeschriebenen Thema „Feed the Planet – Energy for Life“ war erstmal nur eine grobe Richtung vorgegeben, die Marschroute bestimmten aber die Länderteams selbst. Und diese Routen fielen wie zu erwarten sehr unterschiedlich aus: Unter dem Deckmantel der nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion wird von uralter Esskultur bis zu neuen Bewirtschaftungskonzepten alles präsentiert. Deutlich ist, dass bei diesem Thema, welches alle in gleichem Maße angeht, die bloße Selbstdarstellung zumeist in den Hintergrund tritt oder zumindest mithilfe einem produktiven Inhalt gezeigt wird. Bis auf einige wenige Ausnahmen wurde in allen Pavillions versucht, universal anwendbare Gedankengänge anzustoßen, manchmal nach dem Motto „So machen wir’s – so könntet ihr es auch machen“, in anderen Fällen eher nach dem Muster „Dieses Problem gibt es, das sind unsere Ideen wie wir es (gemeinsam) angehen können“.

Vorwärts oder zurück, das ist hier die Frage

Der Großteil der am besten realisierten Konzepte sind von jener Sorte, die nach neuen Möglichkeiten für die Zukunft suchen, doch auch bei jenen, die auf Althergebrachtes hinweisen, gibt es spannende und durchaus allgemein anwendbare Ansätze.

Im koreanischen Pavillion, den ich im vorherigen Text schon erwähnt habe, werden Interessierte mit dem Begriff Hansik, einer alten koreanischen Nahrungsmittelkultur, vertraut gemacht. Da es hierbei viel weniger um ein Rezept oder bestimmtes Gericht als um eine ausbalancierte Ernährungs- und Zubereitungsart geht, lässt sich das Konzept Hansik – so die Prämisse – auch in anderen Gegenden der Welt umsetzen.

Eine andere Art von Balance bildet das Herzstück des belgischen Pavillions. Nach einigen belgischen Kulturgütern, wie dem Atomium, das natürlich auf keiner Expo fehlen darf, steht man einigen zunächst recht kompliziert anmutenden Apparaturen gegenüber, die mittels Zeichnungen an den Wänden aber Schritt für Schritt erläutert werden und deren im Endeffekt simples Prinzip ist, Tierhaltung und Anpflanzung zu kombinieren. So entsteht eine Symbiose – die Pflanzen geben Nährstoffe ins Wasser des unterhalb situierten Fischtank ab, welche die Fische ernähren, während deren Fäkalien als Dünger für die Pflanzen fungiert. Anwendung soll dieses Prinzip vor allem in immer größer werdenden Städten finden, in denen immer mehr Menschen Lebensmittel benötigen, während gleichzeitig der Platz zur Erzeugung eben dieser Lebensmittel rasant knapper wird. Mit neuen Ideen und Techniken wie dieser soll der noch vorhandene Raum effizienter genutzt und gleichzeit neue Produktionsorte erschlossen werden. In eine ähnliche Kerbe schlagen auch die Niederlande in ihrem sehr offenen, wie ein Kiosk gestalteter Pavillion.

Wie sichtbar soll Werbung sein?

Israel blickt mittels Filmvorführung durch die eigene harte, weil trockene Agrargeschichte und gibt so Einblicke in Bewässerungstechniken, die das Land zu einem der größten Gemüseexporteure gemacht hat. Dass das Ganze wie eine Werbekampagne der Tourismusbranche aufgemacht ist, gibt der Sache allerdings einen rostigen Beigeschmack. Ähnliches stellt sich nach dem Besuch des Malaysischen Pavillions ein. Besonders geschickt hat Polen gehandelt, gleich zu Beginn der Ausstellung liegen Infoblätter, Flyer und ähnliches der Hotellerie, von Fluggesellschaften und Attraktionen auf.

Im Großen und Ganzen lässt sich sagen, dass solche Ansätze den Ausstellungen nicht per se schaden, es aber doch besser ankommt, wenn das Marketing etwas besser versteckt wird. Es ist klar, dass die Pavillions die hohen Kosten durch Werbung fürs eigene Land wieder hereinspielen sollen, deshalb ja auch die zahlreichen Souveniershops und Spezialitätencafés, aber das Thema in den Vordergrund zu stellen, tut der Au0enwahrnehmung gut und ist daher wohl kuratorisch schlau.

In diesem Sinne interessant ist die Gestaltung des österreichischen Pavillions. Inhaltlich wird vermittelt, wie entscheidend Baumbestand für die Erhaltung guter Atemluft ist. Doch wie dies vermittelt wird ist durchaus inspiriert: Durch das Verpflanzen von rund hundert österreichischen Bäumen, die nach eigener Angabe in der Stunde genug Sauerstoff für 1800 Menschen erzeugen, entstand eine schattige, kühle Waldoase, die in der italienischen Sommerhitze sehr wohltuend wirkt. Mit dem Slogan „Breathe Austria“ versehen, vermarktet man so Luft, produziert von österreichischen Bäumen, ergo bewirbt man österreichische Luft. Nichts muss verkauft werden, die Natur vermarktet sich quasi selbst.

Ansicht Österreichs Pavillion

EU bleibt hinter den Möglichkeiten und enttäuscht mit rückständigen Gesellschaftsbild

Alle diese Chancen sich in ein gutes, fortschrittliches Licht zu rücken, hatten auch die Verantwortlichen, der EU-Ausstellung. Doch anstatt sie mit all ihren Ressourcen zu nutzen, stellt der Pavillion zumindest für mich die größte Enttäuschung am ganzen Gelände dar.

In einem an sich gut produzierten Film wird die Geschichte von Sylvia und Alex erzählt. Diese ist derart heteronormativ und sexistisch, dass man während der Vorstellung permanent auf den großen Twist wartet, der all diese Missstände irgendwie wieder zurechtrückt. So ein Twist kommt aber nicht: Sylvia will seit Kindheitstagen Wissenschaftlerin werden, wird das auch mit einigem Erfolg, Alex will und wird Landwirt. Doch laut Narrativ fühlen sich beide offenbar allein nicht auf Dauer funktionstüchtig. Welch Glück, dass die Oma, ihres Zeichens Bäckerin auf Urlaub will, und Sylvia das Geschäft überlässt. Hier beginnen die Kontroversen. Da sie nicht backen kann, braucht sie natürlich den starken Landwirt, um es ihr beizubringen und sie aus ihrem Elend zu retten. Fast schon zwanghaft verliebt sie sich in ihn und baut mit ihm in Folge ein lokales Bauernhof-Bäckerei-Restaurant.Imperium auf. Der Kittel der Forschung hängt von da an natürlich in der Ecke. Zwar darf sie auf dem Hof noch vor sich hin experimentieren, aber ihr Platz ist nun in der Küche oder dem Geschäft, an der Seite ihres Mannes.

Soweit die Geschichte. Der Film, betitelt „The Golden Ear“, spielt nicht mit den Stereotypen, die er bedient. Die Frau darf zwar Wissenschaftlerin werden, aber nur, bis sie einen Mann findet, an dessen Seite sie wieder in ein traditionelles Frauenbild zurückkehren soll. Really, EU?

Auf einer Weltausstellung, deren Hauptanliegen Nachhaltigkeit ist, ist dies noch einmal problematischer als ohnehin schon: Wohin sollen wir uns denn als Weltgesellschaft entwickeln, wenn unsere besten Kräfte aufgrund von Traditionen und Sexismen darin gehindert werden, ihr volles Potential abzurufen. Anstatt etwas für die Zukunft zu tun, weigt sich die EU hier als durchwegs rückständig.

Um nicht mit so einer hartnäckigen Enttäuschung zu schließen, noch ein paar Worte zur allgemeinen Kultur am Expo-Gelände. Gemäß dem Motto ist vieles auf Langlebigkeit ausgelegt: Alle Wasserspender beispielsweise werden nach Ende der Ausstellung in verschiedensten italienischen Städten zum Einsatz kommen. Ansonsten, scheint es, ist die Expo außerdem als große Party für Ortsansässige angelegt. Verhältnismäßig günstige Saisontickets und immer vorhandenes Abendprogramm bei dem einen oder anderen Pavillion laden zu wiederholtem Besuch, zum Tanzen besser ohne großer Kamera, ein.

Am Ende überwiegen so die positiven Eindrücke, die großartige Stimmung und die omnipräsente Hoffnung auf ein Weiterkommen. Trotz all den finanziellen Ungereimtheiten vor Beginn, hat Mailand eine tolle Weltausstellung kuratiert und es geschafft, dass ich mich bereits auf meinen möglichst baldigen nächsten Expo-Besuch freue. Und Astana 2017 ist ja schließlich auch nicht aus der Welt.

Am Weg zurück zur Metro

 

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Räume ausstellen – Mein erster Tag auf der Expo 2015 in archiv,

Das Expo-Gelände

Über neunzig Pavillions – zuviel für einen Tagesbesuch.

Gestern, Freitag, wagte ich mich zum ersten Mal auf das Expo-Gelände außerhalb von Mailand. Ich spielte schon länger mit dem Gedanken, mir das Spektakel Weltausstellung einmal live zu Gemüte zu führen, und Mailand ist um die Jahreszeit ja auch nicht gerade zu verachten. Also, Kamera und Schreibzeug gepackt und los ging’s.

In weiser Voraussicht – sowohl des enormen Umfangs als auch meiner Anreisemüdigkeit – habe ich mir noch zu Hause ein Zweitagesticket besorgt – das geht schnell und problemlos. Am Freitag verbrachte ich schließlich vierenthalb Stunden vor Ort und habe, ohne allzu viele Pausen einzulegen, knapp die Hälfte des Ausgestellten gesehen. Deshalb werde ich auch meinen Bericht hier zweiteilen

Heute werde ich die präsentierten Inhalte absichtlich außen vor lassen, da ich keine Urteile oder Meinungen abgeben möchte, ohne das komplette Bild zu kennen. Daher wird in diesem ersten Text zur Expo der Fokus auf Gedanken zum Grundkonzept und den verschiedenen Ansätzen zur Verräumlichung liegen.

Prinzipiell ist der Veranstaltungsort sehr gut gewählt, weit genug außerhalb der Großstadt, um freien Blick zu ermöglichen, aber trotzdem in einer guten halben Stunde vom Zentrum aus zu erreichen. (Metrolinie 1 bis zur Endstation RHO Fiera – einfacher geht es kaum.) Ein wenig ärgerlich ist, dass die Kernzone Mailand zwei Stationen vor Ende aufhört, es muss also ein extra Ticket – hin/retour kosten fünf Euro – gezwickt werden. Aber gut. Ist man erst einmal am Gelände, ist dies auch wieder vergessen und man kann sich frohen Mutes ins Getumml stürzen. An dieser Stelle der Hinweis: Noch vor dem Einlass gibt es INfopontrs, welche Lagepläne verteilen. Auch wenn man im Endeffekt kreuz und quer oder strikt von einer Seite zur anderen spaziert, ist diese Karte für einen ersten Überblick fast essentiell. Es gibt zwar auch eine App, allerdings funktionierte die in meinen Händen nur mäßig gut.

Flaniermeile zur besseren Übersicht

Das räumliche Grundprinzip erinnert an enien Prachtboulevard oder – italienisch – eine Galleria: Links und rechts flanken die Pavillions der einzeilnen Länder und Organisationen einen breiten, überdachten Weg. Dieses einachsige Konzept bewährt sich, ist es doch schon so schwer, nichts zu übersehen. Dieser Boulevard ist nun mittig von einer Art Fressmeile in Form einer Piazza unterbrochen. Diese ist lose in verschiedene landwirtschaftliche Produkte – Reis, Kaffee oder Kokao – unterteilt und stellt zeitgleich die Pavillions verschiedener Länder dar.

Überdachte Zentralmeile des EXPO-Geländes

Hier liegt auch die erste für mich etwas bedenkliche Entscheidung. Ich weiß nichts über die Planung oder die finanziellen Umstände (zumindest nicht mehr als wir an Media-Coverage zu diversen Skandalen im Vorfeld bekommen haben), aber die Tatsache, dass viele sogenannte Entwicklungsländer in gestalterisch sehr einheitlich gehaltene Cluster kombiniert sind, während alle anderen – soll heißen wohlhabendere – Länder freie Designmöglichkeit haben, halte ich für problematisch. Dass dem „Cocoa and Chocolate“-Cluster ein italienisch-schweizerisches Schokolade-Wunderkaufland angeschlossen ist, spricht ebenfalls eine deutliche Sprache, dazu aber beim nächsten Mal mehr.

Kletternetze und Lieblingsspeisen – verschiedene Ansätze zur aktiven Gestaltung des Besuchs

Nun zu den Pavillions. DIe Idee, verschiedenen Ländern Platz zu geben, um ihre Vorstellungen, Ideen und Projekte zu einem Thema präsentabel umzusetzen, ist wohl deshalb so fruchtbar, weil so Aspekte zum Tragen und Leuchten kommen, die jemand anderes augrund seiner diversen Voraussetzungen gar nicht bedenken könnte. Dieses Konzept spiegelt sich wider in den unterschiedlichsten architektonischen Konzepten der Pavillions. Verschiedenste innovative und kreative Möglichkeiten, Räume zu eröffnen und zu nutzen zeigen sich hier den Betrachtenden. Erwähnt sei beispielsweise Brasiliens Pavillion, wo man sich wortwörtlich erst über ein weitläufig gespanntes Netz zum Ausstellungsbereich hocharbeiten muss, während unter einem verschiedenste Pflanzen mittels Sprühregnern bewässert werden. Dieses Erarbeiten ist ein Vorgriff auf den Innenraum, wo man am Weg hinunter Konzepte zur Raumerschließung Koexistenz präsentiert bekommt.

Brasiliens Pavillion in FrontansichtKletternetz im brasilianischen Pavillion

Einen anderen Weg geht Südkorea, wo mittels zu bearbeitender Wordcloud am Eingangsbereich die Besucher schon früh zum Interagieren angeregt werden. Auch in der Ausstellung ist man zunächst mittels projezierten Grundsatzfragen immer erst gefordert bevor koreanische Antwortversuche gegeben werden. An dieser Stelle spreche ich meine große Anerkennung – nicht nur für die koreanischen Volunteers und/oder Mitarbeiter, sondern allgemein an alle Landesvertreter, denen ich bisher begnet bin – aus: Nahezu ausschließlich sprechen sie ein perfektes Italienisch und schienen sogar etwas enttöuscht, wenn ich nach ein paar Anläufen doch ins Englische wechselte. Hut ab!

Innenraum des KoreapavillionsWordcloud weltweiter Lieblingsspeisen am Eingang des Südkorea-Pavillions

Sehr interessant ist auch, wie mit dem Thema Nachhaltigkeit umgegangen wird. Während Nepal die Nachhaltigkeit in der Produktion in den Vordergrund stellt (alle Säulen des Pavillions sind handgeschnitzt), baut Bahrain auf Wiederverwendbarkeit, der Bau aus weißem Sichtbeton ist leicht in Einzelteile zu zerlegen und soll in der Heimat als botanischer Garten Bestand haben.

Auch die Präsentationsform variiert stark. Hier schwenkt das Pendel von  einem vorgeschalteten Werbefilm bei Malaysia über diverse Arten von Oneway-Tours, beispielsweise bei Beglien oder Brasilien, bis hin zum freien Springen zwischen lose verknüpften Bereichen wie im Pavillion der Tschechischen Republik.

Ausstellungsprinzip Litauens ... aus der Nähe.

Grün im Industriegebiet, wohin das Auge schaut

Ein verbindendes – wohl auch dem Überthema Feeding the Planet – Energy for Life geschuldetes – Element ist die Begrünung. Fast kein Land, dass nicht seine Flauna und Flora in den BLickpunkt stellt oder ein eher auf technologische Innovation ausgelegtes Programm mit einer der Entspannung zugewiesenen Grünzone konterkariert. In diesem Zusammenhang bin ich gespannt auf den österreichischen Pavillion, der ja bekanntlich einige Bäume beherbergt.

Der grüne weißrussische Pavillion

Nach einem ersten intensiven Tag bilanziere ich also durchaus interessiert und freue mich auf einen zweiten voll neuer Raumkonzepte und Wegen zu einer nachhaltigeren Nutzung unserer Ressourcen. In dem angesprochenen zweiten Text will ich mich dann auf die inhaltliche Ebene sowie die Kultur der Expo 2015 in Mailand konzentrieren. Bis dahin bleibt mir nur, eine wärmste Empfehlung auszusprechen.

Nach einem langem Tag ging's ins Hotel.

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Möwentag #1 in archiv,

 

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OB DIE MÖWEN

JEMALS HIER REIN

KOMMEN,

FRAGEN WIR DIE PASSANTEN,

DIE UNS IM VORÜBERZIEHEN

UNVERSTÄNDNIS AUS

TAUBENGESICHTERN

ZUWERFEN. 



Abgrundtief|.txt in archiv,

Ein dunkler Raum mit Glühbirne von der Decke. Nur ein Sessel. Z, stehend, sichtlich aufgeregt, aber davon überzeugt, dass die andere Person helfen kann, G sitzt mit dem Gesicht zur Lehne auf dem Sessel.

G: Aber sie sind im Abgrundtief, dort ist es dunkel. Müssen wir ihnen wirklich ins Abgrundtief folgen? Dort ist es dunkel.

Z: Aber sie haben ihn mitgenommen.

Wenn er mitgegangen ist, dann …

Weggetragen haben sie ihn, weiß Gott wohin.

… brauchen wir ihm nicht helfen.

Z. wirft, um sein Unwissen über den Aufenthaltsort Ks zu illustrieren, seine Arme wild umher, bis sie auf Gs Schultern landen. Dieser scheint aus einem Gedanken zu erwachen.

Ins Abgrundtief, mit Sicherheit. Diese Leute bringen alles, was sie finden ins Abgrundtief, das ist ihre Homebase.

Homebase… Können wir nicht …

Nein, wir nicht, du schon gar nicht.

Er kauert sich auf seinem verkehrten Stuhl zusammen, der nächste Gedanke schüttelt ihn.

Dort muss man sich anpassen.

So wie oben?

Ja! Genau wie oben, aber anders. Sie stempeln dir deine Anpassung auf die Haut. Was wenn wir unseren Faden verlieren, im Abgrundtief? Das …

… wäre unvorteilhaft. Dürften wir überhaupt einen Faden haben?

Wir dürfen alles haben, aber …

Er steht auf und geht zum Lichtschalter. Dann betätigt er ihn mit hoher Geschwindigkeit oft hintereinander, um ein Stroboskop zu imitieren.

… kannst du so arbeiten?

Wie oft noch? Ich. Arbeite. Nicht. Habe ja damals schon gearbeitet. Das war ein Versprechen. Pause. Lass das Licht.

Abgrundtief. Zieh das an. Er reicht ihm einen grauen Kaputzenpullover.

Das? Ins Abgrundtief? … Dann verlieren wir uns also wirklich. Hier. Pause. Lass das Licht.

 

Dieser Text ist ein Beitrag zu Dominik Leitners .txt-Projekt, Schlagwort „abgrundtief“.



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Iterationen deshalb, weil das hier eine neue Iteration einer alten, sich entwickelten Instanz ist, aber auch weil sich hier immer neue Iterationen von Gedanken finden werden.