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Die Expo-Kultur: Gedanken zu den vermittelten Inhalten archiv// Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag

Expo 2015: Kultur und Inhalte

Nachdem ich bisher über die räumlich-ästhetische Seite der Expo 2015 in Mailand geschrieben habe, will ich nun ein paar Worte zu inhaltlichen Aspekten sagen.

Mit dem ausgeschriebenen Thema „Feed the Planet – Energy for Life“ war erstmal nur eine grobe Richtung vorgegeben, die Marschroute bestimmten aber die Länderteams selbst. Und diese Routen fielen wie zu erwarten sehr unterschiedlich aus: Unter dem Deckmantel der nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion wird von uralter Esskultur bis zu neuen Bewirtschaftungskonzepten alles präsentiert. Deutlich ist, dass bei diesem Thema, welches alle in gleichem Maße angeht, die bloße Selbstdarstellung zumeist in den Hintergrund tritt oder zumindest mithilfe einem produktiven Inhalt gezeigt wird. Bis auf einige wenige Ausnahmen wurde in allen Pavillions versucht, universal anwendbare Gedankengänge anzustoßen, manchmal nach dem Motto „So machen wir’s – so könntet ihr es auch machen“, in anderen Fällen eher nach dem Muster „Dieses Problem gibt es, das sind unsere Ideen wie wir es (gemeinsam) angehen können“.

Vorwärts oder zurück, das ist hier die Frage

Der Großteil der am besten realisierten Konzepte sind von jener Sorte, die nach neuen Möglichkeiten für die Zukunft suchen, doch auch bei jenen, die auf Althergebrachtes hinweisen, gibt es spannende und durchaus allgemein anwendbare Ansätze.

Im koreanischen Pavillion, den ich im vorherigen Text schon erwähnt habe, werden Interessierte mit dem Begriff Hansik, einer alten koreanischen Nahrungsmittelkultur, vertraut gemacht. Da es hierbei viel weniger um ein Rezept oder bestimmtes Gericht als um eine ausbalancierte Ernährungs- und Zubereitungsart geht, lässt sich das Konzept Hansik – so die Prämisse – auch in anderen Gegenden der Welt umsetzen.

Eine andere Art von Balance bildet das Herzstück des belgischen Pavillions. Nach einigen belgischen Kulturgütern, wie dem Atomium, das natürlich auf keiner Expo fehlen darf, steht man einigen zunächst recht kompliziert anmutenden Apparaturen gegenüber, die mittels Zeichnungen an den Wänden aber Schritt für Schritt erläutert werden und deren im Endeffekt simples Prinzip ist, Tierhaltung und Anpflanzung zu kombinieren. So entsteht eine Symbiose – die Pflanzen geben Nährstoffe ins Wasser des unterhalb situierten Fischtank ab, welche die Fische ernähren, während deren Fäkalien als Dünger für die Pflanzen fungiert. Anwendung soll dieses Prinzip vor allem in immer größer werdenden Städten finden, in denen immer mehr Menschen Lebensmittel benötigen, während gleichzeitig der Platz zur Erzeugung eben dieser Lebensmittel rasant knapper wird. Mit neuen Ideen und Techniken wie dieser soll der noch vorhandene Raum effizienter genutzt und gleichzeit neue Produktionsorte erschlossen werden. In eine ähnliche Kerbe schlagen auch die Niederlande in ihrem sehr offenen, wie ein Kiosk gestalteter Pavillion.

Wie sichtbar soll Werbung sein?

Israel blickt mittels Filmvorführung durch die eigene harte, weil trockene Agrargeschichte und gibt so Einblicke in Bewässerungstechniken, die das Land zu einem der größten Gemüseexporteure gemacht hat. Dass das Ganze wie eine Werbekampagne der Tourismusbranche aufgemacht ist, gibt der Sache allerdings einen rostigen Beigeschmack. Ähnliches stellt sich nach dem Besuch des Malaysischen Pavillions ein. Besonders geschickt hat Polen gehandelt, gleich zu Beginn der Ausstellung liegen Infoblätter, Flyer und ähnliches der Hotellerie, von Fluggesellschaften und Attraktionen auf.

Im Großen und Ganzen lässt sich sagen, dass solche Ansätze den Ausstellungen nicht per se schaden, es aber doch besser ankommt, wenn das Marketing etwas besser versteckt wird. Es ist klar, dass die Pavillions die hohen Kosten durch Werbung fürs eigene Land wieder hereinspielen sollen, deshalb ja auch die zahlreichen Souveniershops und Spezialitätencafés, aber das Thema in den Vordergrund zu stellen, tut der Au0enwahrnehmung gut und ist daher wohl kuratorisch schlau.

In diesem Sinne interessant ist die Gestaltung des österreichischen Pavillions. Inhaltlich wird vermittelt, wie entscheidend Baumbestand für die Erhaltung guter Atemluft ist. Doch wie dies vermittelt wird ist durchaus inspiriert: Durch das Verpflanzen von rund hundert österreichischen Bäumen, die nach eigener Angabe in der Stunde genug Sauerstoff für 1800 Menschen erzeugen, entstand eine schattige, kühle Waldoase, die in der italienischen Sommerhitze sehr wohltuend wirkt. Mit dem Slogan „Breathe Austria“ versehen, vermarktet man so Luft, produziert von österreichischen Bäumen, ergo bewirbt man österreichische Luft. Nichts muss verkauft werden, die Natur vermarktet sich quasi selbst.

Ansicht Österreichs Pavillion

EU bleibt hinter den Möglichkeiten und enttäuscht mit rückständigen Gesellschaftsbild

Alle diese Chancen sich in ein gutes, fortschrittliches Licht zu rücken, hatten auch die Verantwortlichen, der EU-Ausstellung. Doch anstatt sie mit all ihren Ressourcen zu nutzen, stellt der Pavillion zumindest für mich die größte Enttäuschung am ganzen Gelände dar.

In einem an sich gut produzierten Film wird die Geschichte von Sylvia und Alex erzählt. Diese ist derart heteronormativ und sexistisch, dass man während der Vorstellung permanent auf den großen Twist wartet, der all diese Missstände irgendwie wieder zurechtrückt. So ein Twist kommt aber nicht: Sylvia will seit Kindheitstagen Wissenschaftlerin werden, wird das auch mit einigem Erfolg, Alex will und wird Landwirt. Doch laut Narrativ fühlen sich beide offenbar allein nicht auf Dauer funktionstüchtig. Welch Glück, dass die Oma, ihres Zeichens Bäckerin auf Urlaub will, und Sylvia das Geschäft überlässt. Hier beginnen die Kontroversen. Da sie nicht backen kann, braucht sie natürlich den starken Landwirt, um es ihr beizubringen und sie aus ihrem Elend zu retten. Fast schon zwanghaft verliebt sie sich in ihn und baut mit ihm in Folge ein lokales Bauernhof-Bäckerei-Restaurant.Imperium auf. Der Kittel der Forschung hängt von da an natürlich in der Ecke. Zwar darf sie auf dem Hof noch vor sich hin experimentieren, aber ihr Platz ist nun in der Küche oder dem Geschäft, an der Seite ihres Mannes.

Soweit die Geschichte. Der Film, betitelt „The Golden Ear“, spielt nicht mit den Stereotypen, die er bedient. Die Frau darf zwar Wissenschaftlerin werden, aber nur, bis sie einen Mann findet, an dessen Seite sie wieder in ein traditionelles Frauenbild zurückkehren soll. Really, EU?

Auf einer Weltausstellung, deren Hauptanliegen Nachhaltigkeit ist, ist dies noch einmal problematischer als ohnehin schon: Wohin sollen wir uns denn als Weltgesellschaft entwickeln, wenn unsere besten Kräfte aufgrund von Traditionen und Sexismen darin gehindert werden, ihr volles Potential abzurufen. Anstatt etwas für die Zukunft zu tun, weigt sich die EU hier als durchwegs rückständig.

Um nicht mit so einer hartnäckigen Enttäuschung zu schließen, noch ein paar Worte zur allgemeinen Kultur am Expo-Gelände. Gemäß dem Motto ist vieles auf Langlebigkeit ausgelegt: Alle Wasserspender beispielsweise werden nach Ende der Ausstellung in verschiedensten italienischen Städten zum Einsatz kommen. Ansonsten, scheint es, ist die Expo außerdem als große Party für Ortsansässige angelegt. Verhältnismäßig günstige Saisontickets und immer vorhandenes Abendprogramm bei dem einen oder anderen Pavillion laden zu wiederholtem Besuch, zum Tanzen besser ohne großer Kamera, ein.

Am Ende überwiegen so die positiven Eindrücke, die großartige Stimmung und die omnipräsente Hoffnung auf ein Weiterkommen. Trotz all den finanziellen Ungereimtheiten vor Beginn, hat Mailand eine tolle Weltausstellung kuratiert und es geschafft, dass ich mich bereits auf meinen möglichst baldigen nächsten Expo-Besuch freue. Und Astana 2017 ist ja schließlich auch nicht aus der Welt.

Am Weg zurück zur Metro

 

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