Was Glück meint, ist schwer zu sagen, weil es kaum Gewicht trägt. Denn das Glück ist federleicht. Nicht im Sinne von Schwanenfedern, grob, krächzend, farblos und majestätisch, sondern weit mehr an Spatzen erinnernd, singend, leicht, bunt und aufgescheucht. Deshalb fliegt es auch so oft hastig und rasch auf und davon, deshalb ist der Mensch gerade dann glücklich, wenn er wenig an seinem Leben hängt. Denn am Leben hängen heißt an der Angst hängen. Und wer an der Angst hängt, hat so seine Schwierigkeiten mit dem Glücklich-Sein. Es verlangt keinen Mut: Mut ist ein Wort für dumme Menschen. Mut braucht es genau so wenig wie die Angst. Das Streben darf man ganz einfach nicht aus den Augen verlieren, das Streben nach dem einen Moment, in dem man als alter Mensch in seinem Schaukelstuhl schaukeln und nichts als lächeln wird, weil es dann nichts außer Lächeln mehr gibt. Ein Lächeln über und ein Lächeln von.
Glück ist unüberlegtes Streben, oder besser noch: Unüberlegtes. Geschehendes. Denn Unüberlegtes und Geschehendes überrascht. Wie der Spatz, der aufscheucht, weil er von einem plötzlichen Brotkrumen getroffen wird. Wie der Blick, der verstohlen wandert, wenn sich zwei einander Fremde in der Straßenbahn nach Küssen und Nacktheit des Gegenübers sehnen. Unüberlegtes erfreut, weil es einfach geschieht. Wie die Fliege, die einem unerwartet über die Ellenbeuge krabbelt und deren haarige Beinchen an der Haut kitzeln. Wenn einem das Freude macht, ist das Glück. Wenn es einen glücklich macht, macht es einen deutlich und endgültig. Das ist Glückseligkeit. Müde werden nach einem langen Tag. Müde von den vielen Hochflügen, die man immer wieder durchleiden muss. Nicht dem Aufruhr verfallen. Federleichtsinnig sein. Und um abschließend bei Vögeln zu bleiben:
die glücklichste glucke
hat kein glück
wenn man ihr das ei stiehlt
und zerdrückt
Dies ist ein Beitrag zur encyclopedia felicis, einer Blogserie, in der Autoren eingeladen werden, Gedanken über das Glück in Form zu bringen.
Simon Scharinger, geboren 1991 in Schärding, studiert in Wien, schreibt und singt nicht nur dort.
Es war da, ganz plötzlich, unangekündigt. Und sie fühlte sich davon ein wenig vor den Kopf gestoßen.
Ein Dilemma von der Kette, ein Dilemma, ausgestattet mit tausenden von Ratgebern. Diese alle Ratgeber, die sich in tausenden anderen Dingen nicht ums Verrecken einig werden konnten, pflichteten sich hier allesamt bei: Es annehmen, Aktivität zeigen. Das geflügelte Wort fiel da: embrace. Aber sie konnte nichts tun, seit es da war. Nichts außer ihrer Waschmaschine beim Schleudern zuzusehen und immer wieder an ihrem Tee zu nippen. Grüntee mit Mandelextrakt, importiertes Relikt aus einer Zeit, lange bevor es da war und ihr in den Magen geschlagen hatte. Der Tee war zyklisch wie die Waschmaschine, sie vergaß ihn ständig, bis er kalt geworden war, um ihn dann leicht angewidert trotzdem zu trinken. Es wartete im anderen Zimmer, bestimmt wurde es schon unruhig, weil sie es so lange warten ließ. Embrace. Das Drehen der Waschtrommel.
Wenn es auf- und abgehen würde oder gar an die Zimmertüre klopfen würde, sie würde nichts bemerken, denn im Moment, da es vor ihr stand, fing jemand in ihren Gedanken an, lautstark Chopin zu hämmern. Sie hatte sich entschuldigt und erklärt, dass die Verbindung sehr schlecht sei und wollte schon auflegen, als sie bemerkte, dass sie gar nicht telefonierte und dass es da ganz real vor ihr stand. Daraufhin hatte sie sich wortlos in das andere Zimmer, das mit der Waschmaschine und dem Tee, gestohlen. Dort saß sie nun am Boden und wusste schon nicht mehr, ob sich die Wäschetrommel oder die Welt drehte.
Sie hatte daran gedacht, ihm mit der Steinguttasse auf den Kopf zu schlagen, bis es aus Trotz ging, hatte die Idee im nächsten Moment verworfen, aus Höflichkeit. Und überhaupt war es seit seiner Ankunft in die Höhe geschossen, sodass sie seinen Kopf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht treffen konnte. Die Chopininterpret in ihrem Kopf wurde lauter, abgehackter. Jetzt half nur noch ein Wunder. Wenn es sie nicht mehr verstehen konnte, würde es vielleicht abziehen. Sollte sie ihm gegenübertreten und vollster Überzeugung nichts von sich geben? Aber nein, Unverständnis würde nie Sicherheit bringen. Es würde nur ins nächste Zimmer gehen, hinter der Tür warten. Also Schleudern und Grüntee aus der Zeit davor. Auf das Außen warten, das unweigerlich kommen würde, wem zu Hilfe, das war die Frage. Bis dahin würde sie hier sitzen bleiben, sich drehen und angewidert kalten Tee trinken, sie konnte gar nichts anders.
Und draußen, in anderen Zimmer wartete das Weiterkommen. Embrace.
Uns umgeben anthropomorphe ((Anthropomorphismus beschreibt die Vererbung menschlicher Eigenschaften auf Nichtmenschliches.))
Gesten, die wir einüben, zum Schutz.
Bis sie sich aus sich selbst erheben
zur Rache uns den Zug entstellen.
Die anthropomorphe Menschlichkeit
domestiziert uns.
Wir versuchen, von Innen heraus
zu argumentieren, und scheitern,
da unser Sinn nicht nach außen dringt,
Fremde Konzepte halten ihn fest.
Die anthropomorphe Menschlichkeit
vermenschlicht uns nicht.
Dieser Text erschien zunächst auf meinem alten Blog, Kopftheater. Hier soll er nun eine Reihe von Gastbeiträgen, vielleicht auch eigenen Worten, zum Glück einläuten. In der Encyclopedia felicis werden verschiedene Zugangsweisen erscheinen, sich dem Glück-Theorem anzunähern. Bald.
Das Glück-Theorem. Suchende.
In einem abgerissenen ehemals weißen Hemd lief ich die Straße hinunter, in Richtung meiner kleinen Maisonette, die natürlich nicht meine war. Sie war noch ein Stück weg, die Kneipe lag ein paar Häuserblocks entfernt, und mir ging langsam die Luft aus.
In der Kneipe wartete Tom auf mich, denn ich war mitten im Gespräch aufgestanden und losgelaufen. Warum ich wusste, dass er wartete? Nunja, ich konnte nur hoffen, aber Tom war immerhin mein bester Freund, wenn man zwei Menschen, die sich alle heiligen Zeiten einmal auf ein paar Drinks trafen, so bezeichnen konnte, beste Freunde. Aber ich wäre niemals auf die Idee gekommen, ihn anders, oder irgendwen anderen so zu nennen. Und ich hatte kein Geld dagelassen. Schließlich würde ich auch wiederkommen.
Wir hatten über die Zukunft gesprochen. Was mit einer Frage nach der Lage der Nation, also dem aktuellen Finanzstand des Gegenübers, begann, artete schnell in Grundsatzdebatten aus. Basisoptimismus gegen Existenzverweigerung. Alles wie immer.
Tom war ein ruhiger Mensch, im besten Sinne des Wortes. Er machte sich keine Sorgen, weil ihm die zu anstrengend und in keinster Weise die Mühe wert waren. Ich machte mir Sorgen, weil mir ohne sie langweilig wäre. Was würde wohl aus der Welt werden, wenn es keine Sorgen mehr gäbe? Wenn, wenn, wenn. Unser Täglichbrot.
Ich war losgerannt um irgendeinen Zeitungsartikel zu holen. Irgendwas über Atomkraftgegner und ihre Proteste. Doch schon als ich zur Tür hinaus war, hatte ich vergessen, welchem Argument ich eigentlich zur Unterstützung eilen wollte. Es war auch egal, wir diskutierten schließlich um des Diskutierens Willen, nicht, um den anderen zu überzeugen. Eigentlich konnte ich auch ohne umkehren. Wir würden eben über Immaterielles reden. Das konnten wir ohnehin besser.
„Entschuldigung, haben Sie das Glück erfunden?“, fragte mich der Junge. Ich verstand zunächst nicht, mir fehlte es an Sauerstoff im Hirn. Er sah aus, als würde er nicht nur das Glück suchen, sondern viel mehr die Büchse der Pandora, angefüllt mit Wundern.
„Tut leid, mein Freund in der Kneipe da und ich suchen es selbst noch.“ Er schien vor lauter Enttäuschung zusammenzuklappen. „Aber ich weiß aus, sicherer Quelle, dass mir der Typ ähnlich sieht. Der mit dem Glück-Theorem. Komm mal mit, du siehst einem Typen ähnlich, der ein Bier vertragen könnte.“
Im Radius von einskommafünfzwei Kilometer kein Kaffeehaus, sagt das Gerät.
Keines offen, keines da. Absolute Kaffeehausleere. Niemand kann so leben, geschweige denn existieren. Nur Busstation auf Busstation samt verwahrlosten Fahrplänen. Und das gelegentliche Altersheim. Und selbst da sind heute die Lichter aus.
Wir wandern trotzdem durch, gut vorbereitet. Es gibt kein schlechtes Wetter, nur undichte Thermoskannen. Das Ziel: der Schreibwarenladen um die Ecke am Fuße des Anstiegs, der Tinte wegen. Und um das Papier zu fühlen. Atmosphäre kann sie doch, die Stille. Weiterschleichen, den Hügel hinauf, zwischen Häusern, die wahre Schluchten sind.
Alte Fassaden, die irgendwann mal schön gewesen sein konnten, haben es uns angetan, hier bleiben wir stehen und blicken zurück in die wiederkehrende Leere. Dann schnell weiter. Wir wollen nicht die sein, die irgendwann mal da gewesen sein konnten, im Radius einskommafünfzwei Kilometer. Morgen wieder, sagt das Gerät.
Stundenlang in irgendeinem Starbucks gesessen und Weihnachtskarten geschrieben, bei moderatem Weihnachtsgedudel. Ich zeichnete Schneeflocken zu meinen Wünschen.
Dort am Fenster sitzen irische Schauspieler und üben ihren Text für eine sehr deutschsprachige Herbergssuche. Sehr konzentriert. Ich zeichne weiter sehr konzentriert asymmetrische Schneeflocken.
Neben jeden Tisch stehen mindestens zwei volle Einkaufstaschen, die Besitzer verraten mit unruhigen Trinkbewegungen, dass nochmal mindestens ü folgen sollen. Ich zeichne leicht zur Seite hängende Schneeflocken. Irgendwann stehe ich auf, ziehe meinen Mantel an und bringe sie zur Post.
Frohe Weihnachten!
Für dich
sind wir ein
Gros Nichtssager,
Allesproklamierer.
Wir sind
zuviel Punkt,
Extremata.
Für dich
sind wir eine
Sorgenvolle,
Hoffnungsverweigernde.
Haben
hohe Ziele,
nie mehr Zwecke.
Für dich
sind wir
Flammen, ihr.
Für uns
sind wir
Funken, wir
Vor ihr
gehen wir scheu,
Realitätsschande.
Halten
sie vorweg
unter Wasser,
stumme Scham.
Immer gewesen sein
oder
immer sein werden?
Aus dem Fenster schauen, gestern Schnell fallen sehen
und wissen, dass er morgen verschmolzen gewesen sein wird,
grau und laut.
Gewillt sein, die Sonne abzublenden,
denn die Heimatwelt steht, steht, im Verschmelzen gehalten,
in leisem Selbstgespräch.
Um das Labyrinth gearbeitet,
Mauern gestärkt (und beschrieben).
Noch keinen Eingang
gefunden in die Grauen,
die ich suche
ob der Aussichtslosigkeit
des weiten Freien.
Das Tor
ist weg und es bleibt
mir nur übrig,
ein Neues in Kreide zu malen,
damit es als Diode fungiert
für das Objektsubjekt;
hinein, nicht hinaus, nicht hinaus,
hinein in das leere Labyrinth,
es auszufüllen.
Ich sitze hier an einem Tisch und denke, weil ich nichts Besseres zu tun habe. An der Wand vor mir, gegen die ich starre, quasi in einem Wettbewerb, den ich in meiner Rolle als Mensch verlieren muss, stehen Worte, ja sogar Sätze, manche mit passenden Antwortsätzen.
Jetzt sind die meisten Korrespondenzen in keinstem Fall hochtrabend oder interessant. Trotzdem bleibt mein Blick – und ihm folgen meine Gedanken auf dem Fuße – an ihnen hängen, nicht wegen der Brisanz der Kreativauslässe an dieser Wand, die ja mehr einen Akt des Vandalismus als geistige Wachheit oder Wahrheit darstellen, sondern aufgrund der Tatsache, das selbst das sinnfreiste Wort an der Wand von jemandem dorthin geschrieben wurde.
Wer sind diese Personen, die so einsam sind, dass eine Wand der beste Gesprächspartner ist, den sie finden konnten? Was für eine Unsicherheit steht hinter den Obszönitäten des Alltags, die auf ewig und bis zur unvermeidbaren Renovation in den Putz gekratzt wurden. Revolution? Ja, reich mir den Marker.