Ich frage und zerstreue mich oft, in wie weit sich mein Verständnis und Empfinden von Glück verändert hätte, wären da nicht all die Kultur, all die Geschichten und Erzählungen vom Glück. Wenn man bloß auf die Generationen von Menschen vor einem selbst hört und achtet, die in ihren Erzählungen Glück und Unglück einzementieren in starre Formen und klare Abläufe, wird man immer glücklicher sein wollen, als möglich ist. Ein Mitbringsel dieser uneigenen Welt ist wohl, dass das Glück zwangsläufig das Unglück als Gegenpol mitschleppt. Wenn man glücklich ist, wartet man deshalb oft schon von Anfang an den Schwenk ins Unglück ab. Hat man überhaupt noch eine eigene Wahrnehmung von diesen Dingen, oder ist Glück, was als Glück im Wörterbuch definiert steht? Würde man ohne das Wissen von diesen vorgelebten Glücks- und Unglücksgeschehnissen, eben diese nicht viel unbekümmerter hinnehmen können und tatsächlich glücklich (und unglücklich?) sein? Wäre es denn nicht eine Bereicherung, nichts davon zu erfahren?
Dies ist ein Beitrag zur encyclopedia felicis, einer Blogserie, in der Autoren eingeladen werden, Gedanken über das Glück in Form zu bringen.
Simon Scharinger, geboren 1991 in Schärding, studiert in Wien, schreibt und singt nicht nur dort. Lesen kann man ihn unter anderem auf seinem Blog, auseinandersetzungen. Ein weiterer Text zum Glück, Federleicht, erschien im März 2014 ebenhier.
Plötzlich haben wir uns die Welt aus dem Kopf getanzt. Wir waren heimgegangen und nun lagen wir zwischen vergangener Nacht und herannahendem Morgen. Wir lagen nun zwischen Gestern und Heute, zwischen dem Ja und dem Nein, zwischen all dem, was bereits gesagt wurde und noch ausgeschwiegen wurde. Wir waren mitten in unseren Zwanzigern, die Hoffnung hatten wir uns an die Haustür geklebt, gesucht hatten wir sie zwischen Zeit und Raum der Momente, die wir längst hinter uns hatten, zwischen dem, was noch vor uns lag und einen Weg, den wir noch nicht beschritten hatten. Wir hatten nach der großen Liebe gesucht und allzu oft temporäre Zuneigung gefunden, zwischen dem Vielleicht und Bald, in der Hoffnung auf die Dauerhaftigkeit.
Wir waren Linien an der Wand, parallel laufend gewesen, du meintest, es wäre traurig, weil sie sich nie berührten, aber es war besser als sich nur einmal zu kreuzen, wie normal aufeinander zu stehen, sich im Kreis zu drehen, sobald man uns in Bewegung setzt. Drehen, durchdrehen, abdrehen, das Leben aufdrehen – wir hatten das bereits alles gelernt. Vor lauter Drehen hatten uns unsere Füße wehgetan, wir hatten uns den Kopf leergetanzt, wir waren in halbkaputten Schuhen nachhause gelaufen, noch nicht sicher wo das für uns ist, aber weg aus der dampfenden Wolke, die sich aus zu lauter Musik und zuviel Alkohol aufgebaut hatte.
Weg, die Straße entlang, links, an der Bushaltestelle, wir hatten weitergetanzt, langsam zueinander gedreht, ineinander verschlungen. Wir drehten, drehten, drehten am Schicksal, an den großen Fragen des Lebens, die wir jetzt noch nicht beantworten konnten, wir drehten am Kompass, unser Norden war die Hoffnung, wir drehten uns für die Hoffnung, hoffend, dass das Leben einmal gut zu uns sein würde. Die Bushaltestelle mutierte zu unserem Tanzsaal, ganz nach unserem Geschmack, wir tanzten Walzer, die Sternenkronleuchter drehten sich mit uns. Niemand war da, wir waren allein, wartend gefangen, aber wild, frei, wundertoll, das Ende noch ungewiss.
Wir hörten die Pauken der Vergangenheit, die falschen Töne im Orchester, unser Kopf drehte sich, und wir mit ihm mit, unser Groschen war noch nicht gefallen, wir drehten ihn noch fleißig. Es war noch kalt, die Luft zog in unsere Lungen, sie hielt uns wach, die kleinen Schnapsflaschen waren unser Champagner, wir tranken auf das Leben, das uns zu oft schon enttäuscht hatte, uns die Eintrittskarte für das bessere Leben verwehrte. Du holtest Zigaretten aus deiner Jackentasche, wir bliesen uns die Verachtung unserer Jugend aus den Lungen, zum Schreien waren wir zu müde.
Mit Zigaretten in der Hand, über die Schulter des jeweils anderen tanzten wir weiter, die Nacht war noch jung. Niemals waren wir die Asche, wir verweigert den Tag, in der Nacht lebten wir, unsere Gedanken tanzten wie aufgewirbelter Staub. Ich schmiegte mich an dich, ich wollte mich festhalten, die Gedanken kreisten im Kopf umher, du mutiertest zu meinem Hydranten, ich drehte mich um dich. Wir stiegen in den Bus, du legtest deinen Arm um mich, wir betrachteten die Stadt als würden wir sie zum ersten Mal sehen. Die Lichter tanzten weiter, immer im selben Takt, sie waren noch nicht müde. Die Füße verschränkten wir, die lose Abwehrhaltung, mehr war uns nicht mehr möglich zwischen dem Gestern und Heute. Du warst nicht außer Atem gekommen, Hydraten kamen nicht außer Atem, dein Brustkorb hob sich sachte und senkte sich ebenso. Deine Hand legtest du auf meine Beine, sie durften ruhen, wir hatten lange genug getanzt, unsicher, ob sie meine Hände nochmals sanft nehmen sollten und mich noch einmal drehen sollten. Wie die Sonne sich um die Erde drehte, so hatten wir uns gedreht, der eine verbrannte, während der andere näher kam, irgendwann würde es wohl so weit sein. Immer zwischen Spannung und Anspannung. Wir verschmierten die Fenster zum Abschied mit unseren Namen, niemand würde mehr wissen, wer wir waren, unsere Namen ein Bild unser Selbst. Die Namen würden bald vergehen, doch wir waren Musik, Lied, Strophe, Hauptsatz, Seitensatz, Sequenz, Vorsatz, Nachsatz, Takt. Du warst Leitmotiv, meine emotionale Kadenz, meine Bluenote, meine Bridge und mein Solo. Wir waren das Thema und seine Variation, wir waren Dux und Comes, Reprise und Wiederholung.
Gehalten vom Leben humpelten wir die Straße hoch, beinahe hätten wir den Asphalt geküsst, er kühlte langsam aus, die Beine taten uns weh. Manche Randsteine fehlten bereits, wie Erinnerungen, die wir nicht mehr wollten und vergessen hatten, oder so taten, als hätten wir sie vergessen. Es war schwierig, nicht in die Löcher zu fallen nicht in die Kippen, die zu hundert auf dem Boden lagen. Endlich da, wo wir hin wollten, wir waren da, wir saßen lachend auf der Straße, weil der Schlüssel nicht in das Schloss finden konnte, die Meisterübung zwischen den Tagen, die bereits vergangen waren und noch vor uns lagen. Wir schafften uns die Treppen hoch, viel zu laut, wir würden die Nachbarn mit unserem Gelächter wohl wecken, es war uns in diesem Moment egal, wir drehten uns, und das Leben tat es uns gleich. Die Haustüre schoben wir nach innen, die Schuhe warfen wir weg, wir waren eine Fabel ohne Tiere, wir waren die Realität ohne Bezug, Sätze ins Leben geschrieben, ohne größere Moral.
Realitätsfern tänzelten wir ins Badezimmer, die Dusche war ein Kurzflug zwischen dem Stempel, der uns aufgedruckt worden war und seinen Resten auf dem Handgelenk. Die Haare waren noch feucht, in Handtücher gewickelt hatten wir uns ins Bett getanzt, der Dampf aus dem Bad begleitete uns, er machte sich auf die Reise aus dem Fenster, wir wünschten ihm viel Glück. Wir lagen nun da, Arm in Arm, das Fenster hatten wir geöffnet, es war eigentlich viel zu kalt dafür, wir wollten die kalte Brise spüren, die uns die Gänsehaut auf den ganzen Körper trieb, so wie Bewegung der Fingerspitzen auf dem Körper des jeweils anderen. Die Haare rochen nach Hoffnung und Fantasie, nach dem Mittelmeer, nach botanischen Gärten, nach Zeiten, die noch nicht angebrochen waren. Wir lagen hier, schweigend, den Kopf ausgetanzt, eingerollt in den Handtüchern zwischen dem Wachzustand und dem Traum. Der Wind wehte sich in alle Himmelsrichtungen, die Sternenkronleuchter schwankten noch langsam, bevor ihnen nach und nach das Licht ausging. Kondensstreifen am Horizont konnten wir entdecken, wir waren zu müde, unsere Reise ging im Heute nicht mehr weit. Die Vögel fingen an ihre Melodien zu singen, wir wollten nicht mehr tanzen, wir hörten dem Orchester zu, traumschwanger zu der Wirklichkeit getrieben, die Hände genau da. Die Sonne hatte bereits ihren Tanz begonnen, wir liegen da, zwischen Heute und Morgen1.
1 Glück das, -s/-: etwas, was Ergebnis des Zusammentreffens besonders günstiger Umstände ist; besonders günstiger Zufall, günstige Fügung des Schicksals (vgl. Duden 2014, o.S.)
Katharina Peham, Jahrgang 1990, schreibt und dichtet unter der Namen katkaesk. Worte über das Glück, die Hoffnung und das Leben sind auf katkaesk.com zu finden.
Mein Name ist mehr. Mein Name ist Glück. Er beschützt mich, wenn es dunkelt. Er führt mich, wenn es finstert.
Ich habe keine Erklärung. Ich spüre es. Das Geschenk meiner Eltern. Es ist immer bei mir. Ist immer bei mir gewesen.
Und deshalb suche ich. Ich will ein Wort verschenken. Danke. Ich suche. Und finde nicht. Wer will das Wort hören? Wer will es annehmen? Ich brauche es nicht.
Der Altar steht bereit. Weihrauch steigt höher. Doch der Rahmen ist leer. Es hängt kein Bild über meinem Altar. Ich habe kein Bild. Vom Glück.
Ich gebe mir die Hand. Mir selber. Probiere es zu sagen. Danke. Das Gefühl ist falsch. Ich bin nicht das Glück.
Meine Taufe? Vielleicht. Sind meine Eltern das Glück? Ist es der Priester?
Ich suche weiter.
Soll man suchen? Soll man finden?
Mein Name ist Glück. Doch ich finde das Glück nicht. Ich habe es nur. Aber ich sehe es nicht.
Wer das Glück sieht. Irgendwann einmal. Sagt ihm Danke. Von mir. Es wird sich auskennen.
„Mein Name ist Glück“ gehört zur encyclopedia felicis, einer Reihe von Texten über das Glück. Felix Schifflhuber wurde 1992 in Ohlsdorf, Oberösterreich geboren, ist Student der Germanistik, Musikwissenschaft und Anglistik in Wien.
Er hatte sein Glück verlassen.
Das Glück war sein ältester Freund. Soweit er sich zurück erinnern konnte, war das Glück da. In der Schule teilte er sein Pausenbrot mit ihm.
Als er aufwuchs, begann ihn diese intensive Beziehung einzuengen. Das Glück hatte ihn sein ganzes Leben über begleitet, war ihm auf Schritt und Tritt gefolgt. Er hielt es für einen ungefragten und mehr und mehr unerwünschten Begleiter, wenn nicht für einen Verfolger. Es kam ihm vor, als würde ihm das Glück das Leben vermiesen, versuchen, sich zwischen ihn und seine Erfahrungen zu stellen. Er musste handeln. Etwas verändern, um sein Leben zu leben.
Er war also eines Nachts, als das Glück tief schlafend neben ihm im Bett lag, leisen Fußes aufgestanden, hatte das Wichtigste in einen Rucksack gepackt und war auf Wanderschaft gegangen. Er hatte es nicht geplant und so hatten seine Taten Hand und Fuß. Für einen Außenstehenden hätte es ausgesehen wie eine Flucht, ihm erschien es als Befreiung. Er würde etwas tun, dass er sich lange gewünscht hatte. Er wollte das Leben lernen.
So zog er also durch die Welt, ganz alleine, auf das Schlimmste hoffend, er wollte sein Pech austesten. Das Unglück würde ihn zum Menschen machen, so dachte er. Er hatte bisher nur in seiner vom Glück getragenen Blase existiert, doch er wollte seine Vision klären. Leben bedeutete scheitern. Er wollte das Scheitern kennenlernen.
In den ersten Tagen schwebte er fast durch die Straßen. Die jahrelangen Lehren seines Begleiters hatte er noch in sich und er befolgte sie intuitiv. So konnte ihm nichts geschehen. Doch immer mehr vergaß er das Gelernte, er begann zu stolpern. Dann fiel er zu Boden. Das freute ihn. Jetzt würde das Leben beginnen, war er sich sicher und stand mit einem Grinsen wieder auf, putzte sich schwungvoll den Dreck von der Hose und ging weiter seines Weges. Er sollte noch oft fallen.
So kam er weit in der Welt herum, immer auf der Suche nach dem nächsten Unglück. Was er sah und erlebte, tat ihm weh, doch dieser Schmerz hatte für ihn stets etwas Gutes an sich, das den Geschmack des Blutes im Mund überdeckte. Wie sehr seine Knie auch aufgeschunden waren, er hatte für alles ein Lächeln übrig. Denn die Schmerzen erschienen ihm als Wink der Welt, dass er auf dem richtigen Weg unterwegs war. Der Boden begrüßte ihn im Leben. Und der Regen, denn es regnete jetzt oft, wusch ihm den Dreck von den Armen.
Die ersten Jahre haftete der letzte Einfluss des Glücks noch an ihm, seine Spuren klebten wie Feenstaub an ihm und trugen ihn sicher von Hier nach Da. Doch aller Proviant ist einmal aufgezehrt. So wurden seine so überschwänglich begrüßten Pannen zu Pechsträhnen und seine Pechsträhnen zu Katastrophen. Jetzt musste er sich zu dem Lächeln, dem er sich verschrieben hatte, zwingen und der Weg zur nächsten Rast schien ins Unendliche zu gehen. Der Regen wurde stärker. Als es damals zu regnen begonnen hatte, empfand er das Nass angenehm und erfrischend, doch nun war ihm jeder Tropfen eine Bombe auf seinem Kopf. Nach und nach begann er zu zweifeln, ob sein Weggang von Daheim wirklich das Richtige gewesen war. Hätte er damals wenigstens eine Nachricht hinterlassen, wäre alles nicht so schlimm gewesen. Doch so würde er zu Hause bestimmt auf verschlossene Türen stoßen, das Glück würde ihn nicht hineinlassen, warum sollte es auch? Eher würde es ihn vom Fenster aus anspucken. Nein, zurück konnte er nicht.
Eben dieses Glück saß zuhause saß auf dem Bett. Seit er in jener Nacht aus dem Zimmer gegangen war, wartete es hier auf ihn. Natürlich hatte es gemerkt, wie er seine Sachen packte und wie er leise die Tür schloss. Doch es konnte und wollte ihn nicht halten. Wenn er versuchen wollte, ohne ihm auszukommen, würde es ihm nicht im Weg stehen. Es war sich sicher, dass er zurück kommen würde, wenn ihm die Realität des Leidens zu real würde. Sie kamen noch alle zurück, irgendwann war jedem das Fallen zu viel.
Aber es zogen die Jahre am Fenster vorbei und das Glück war immer noch alleine. Die einzigen Wege des Glücks waren die in die Küche und wieder ins Bett, immer mit einem lauschendem Ohr, dass vielleicht doch noch den Heimkehrer hören könnte. So zogen die Jahreszeiten am Fenster vorüber und sie waren glücklos und kurzatmig.
Das Pech zeichnete den Jungen, der mittlerweile ein stattliches Mannesalter erreicht hatte, sehr und so sah er weit älter aus als er es war. Die vielen Stürze hatten ihm die Knochen zermürbt und das Gehen fiel ihm schwer. Doch all diese Leiden waren harmlos, wenn man seine schwerste Krux betrachtete. Seine Augen waren nutzlos geworden, denn sie sahen nur noch die Vergangenheit, sie zeigten ihm das Glück, dass er verlassen hatte und sie gaukelten ihm das Glück vor, welches er haben hätte können, wäre er nur nicht so töricht gewesen. Diesen Schein vor Augen war er gealtert, denn zu all dem Ungeschick kam das Selbstmitleid hinzu und vertrieb auch die letzte Abenteuerlust aus seinen Gedanken und das kleinste, kümmerlichste Lächeln von seinen Lippen. Glücklos, wie er sich gemacht hatte, war er zu einem gebrochenen Mann geworden.
Das Glück hatte ein Leben lang auf ihn gewartet. Zusammen hätten sie Berge versetzen können, doch getrennt von einander waren sie beide machtlos dem Leid ausgesetzt. Das zu lernen, hatte das Glück den Jungen ziehen lassen, damit er bestärkt zurückkehre. Aber die Angst vor seinen eigenen Taten, seiner eigenen Vergangenheit hatte ihn zuerst zu einem Jünger der Unzulänglichkeiten, dann zu einem Opfer der zerstörerischen Urkraft des Chaos gemacht. Sie waren beide verloren, als er sich der falschen Überzeugung hingab, er hätte sein Glück vertrieben. Niemand kann sein Glück ausmerzen, denn das Glück ist jedem treu, selbst dem freiwillig Glücklosen.
>Es hielt lange durch, zehrte wie er von Erinnerungen an bessere Tage, in denen sie noch vereint waren. Doch die Zeit hinterließ auch an ihm ihre Spuren. Die Gänge in die Küche wurden langsamer und auch die Blicke zu Tür und Fenster schliefen ein. Bald konnte es nicht mehr aus dem Bett steigen, bald musste es kämpfen, den Kopf über der Decke zu halten. Das einzige, was es noch am Leben hielt, war die Gewissheit, er würde kommen.
Es war an der Zeit. Instinktiv führte ihn sein schwacher Schritt, geleitet von all den Illusionen, nach all den Irrjahren in einer Anwandlung von Hoffnung wieder auf seine alten, einst glücklichen Wege. Als er seine Stadt, seine Straße wiedererkannte, schoss das Adrenalin durch seinen Körper, wie es es einst tat, als er in die Welt aufbrach. Plötzlich waren seine Sorgen weggeblasen in die hinterste Ecke seines Bewusstsein, an vorderster Front stand nun die Zuversicht in großen Lettern. Plötzlich wusste er, sein Glück hatte ihn nicht vergessen. Es wartete die ganze Zeit über auf ihn, seit er fortgegangen war. Er ging den Heimweg, so schnell er nach all den Strapazen konnte. Mit strahlenden Augen kam er vor seinem Haus zu stehen.
Es brauchte einige Zeit, bis er den Schlüssel aus seinem Beutel gekramt hatte, ganz unten war er, begraben von allerlei Gedenkstücken an Miseren. Als er den Beutel packte, dachte er ja auch nicht, dass der Schlüssel irgendwann wieder aufsperren würde. Aber jetzt hatte er ihn wieder in der Hand, seinen Schlüssel zum Glück.
Er drehte ihn im Schloss um, öffnete die Haustür und trat ein. Dann wusste er es. Es rückte sein Leben, seine Gefühle wieder ins Lot, kappte seine neu gewonnene Hoffnung an der Wurzel. Die Kraft floh wieder aus seinem Körper. Er war wieder vergreist wie zuvor, doch es war schlimmer, denn zur Hoffnungslosigkeit gesellte sich die Gewissheit.
Es hatte ihn nicht vergessen und hatte die ganze Zeit auf ihn gewartet. Er war zu spät.
Das Glück hatte ihn nicht verlassen.
Dieser Text gehört zur Encyclopedia felicis, einer Reihe von Texten über das Glück. Erstmals erschien er im Kopftheater.
Dieser Text erschien zunächst auf meinem alten Blog, Kopftheater. Hier soll er nun eine Reihe von Gastbeiträgen, vielleicht auch eigenen Worten, zum Glück einläuten. In der Encyclopedia felicis werden verschiedene Zugangsweisen erscheinen, sich dem Glück-Theorem anzunähern. Bald.
Das Glück-Theorem. Suchende.
In einem abgerissenen ehemals weißen Hemd lief ich die Straße hinunter, in Richtung meiner kleinen Maisonette, die natürlich nicht meine war. Sie war noch ein Stück weg, die Kneipe lag ein paar Häuserblocks entfernt, und mir ging langsam die Luft aus.
In der Kneipe wartete Tom auf mich, denn ich war mitten im Gespräch aufgestanden und losgelaufen. Warum ich wusste, dass er wartete? Nunja, ich konnte nur hoffen, aber Tom war immerhin mein bester Freund, wenn man zwei Menschen, die sich alle heiligen Zeiten einmal auf ein paar Drinks trafen, so bezeichnen konnte, beste Freunde. Aber ich wäre niemals auf die Idee gekommen, ihn anders, oder irgendwen anderen so zu nennen. Und ich hatte kein Geld dagelassen. Schließlich würde ich auch wiederkommen.
Wir hatten über die Zukunft gesprochen. Was mit einer Frage nach der Lage der Nation, also dem aktuellen Finanzstand des Gegenübers, begann, artete schnell in Grundsatzdebatten aus. Basisoptimismus gegen Existenzverweigerung. Alles wie immer.
Tom war ein ruhiger Mensch, im besten Sinne des Wortes. Er machte sich keine Sorgen, weil ihm die zu anstrengend und in keinster Weise die Mühe wert waren. Ich machte mir Sorgen, weil mir ohne sie langweilig wäre. Was würde wohl aus der Welt werden, wenn es keine Sorgen mehr gäbe? Wenn, wenn, wenn. Unser Täglichbrot.
Ich war losgerannt um irgendeinen Zeitungsartikel zu holen. Irgendwas über Atomkraftgegner und ihre Proteste. Doch schon als ich zur Tür hinaus war, hatte ich vergessen, welchem Argument ich eigentlich zur Unterstützung eilen wollte. Es war auch egal, wir diskutierten schließlich um des Diskutierens Willen, nicht, um den anderen zu überzeugen. Eigentlich konnte ich auch ohne umkehren. Wir würden eben über Immaterielles reden. Das konnten wir ohnehin besser.
„Entschuldigung, haben Sie das Glück erfunden?“, fragte mich der Junge. Ich verstand zunächst nicht, mir fehlte es an Sauerstoff im Hirn. Er sah aus, als würde er nicht nur das Glück suchen, sondern viel mehr die Büchse der Pandora, angefüllt mit Wundern.
„Tut leid, mein Freund in der Kneipe da und ich suchen es selbst noch.“ Er schien vor lauter Enttäuschung zusammenzuklappen. „Aber ich weiß aus, sicherer Quelle, dass mir der Typ ähnlich sieht. Der mit dem Glück-Theorem. Komm mal mit, du siehst einem Typen ähnlich, der ein Bier vertragen könnte.“