Dieser Text erschien zunächst auf meinem alten Blog, Kopftheater. Hier soll er nun eine Reihe von Gastbeiträgen, vielleicht auch eigenen Worten, zum Glück einläuten. In der Encyclopedia felicis werden verschiedene Zugangsweisen erscheinen, sich dem Glück-Theorem anzunähern. Bald.
Das Glück-Theorem. Suchende.
In einem abgerissenen ehemals weißen Hemd lief ich die Straße hinunter, in Richtung meiner kleinen Maisonette, die natürlich nicht meine war. Sie war noch ein Stück weg, die Kneipe lag ein paar Häuserblocks entfernt, und mir ging langsam die Luft aus.
In der Kneipe wartete Tom auf mich, denn ich war mitten im Gespräch aufgestanden und losgelaufen. Warum ich wusste, dass er wartete? Nunja, ich konnte nur hoffen, aber Tom war immerhin mein bester Freund, wenn man zwei Menschen, die sich alle heiligen Zeiten einmal auf ein paar Drinks trafen, so bezeichnen konnte, beste Freunde. Aber ich wäre niemals auf die Idee gekommen, ihn anders, oder irgendwen anderen so zu nennen. Und ich hatte kein Geld dagelassen. Schließlich würde ich auch wiederkommen.
Wir hatten über die Zukunft gesprochen. Was mit einer Frage nach der Lage der Nation, also dem aktuellen Finanzstand des Gegenübers, begann, artete schnell in Grundsatzdebatten aus. Basisoptimismus gegen Existenzverweigerung. Alles wie immer.
Tom war ein ruhiger Mensch, im besten Sinne des Wortes. Er machte sich keine Sorgen, weil ihm die zu anstrengend und in keinster Weise die Mühe wert waren. Ich machte mir Sorgen, weil mir ohne sie langweilig wäre. Was würde wohl aus der Welt werden, wenn es keine Sorgen mehr gäbe? Wenn, wenn, wenn. Unser Täglichbrot.
Ich war losgerannt um irgendeinen Zeitungsartikel zu holen. Irgendwas über Atomkraftgegner und ihre Proteste. Doch schon als ich zur Tür hinaus war, hatte ich vergessen, welchem Argument ich eigentlich zur Unterstützung eilen wollte. Es war auch egal, wir diskutierten schließlich um des Diskutierens Willen, nicht, um den anderen zu überzeugen. Eigentlich konnte ich auch ohne umkehren. Wir würden eben über Immaterielles reden. Das konnten wir ohnehin besser.
„Entschuldigung, haben Sie das Glück erfunden?“, fragte mich der Junge. Ich verstand zunächst nicht, mir fehlte es an Sauerstoff im Hirn. Er sah aus, als würde er nicht nur das Glück suchen, sondern viel mehr die Büchse der Pandora, angefüllt mit Wundern.
„Tut leid, mein Freund in der Kneipe da und ich suchen es selbst noch.“ Er schien vor lauter Enttäuschung zusammenzuklappen. „Aber ich weiß aus, sicherer Quelle, dass mir der Typ ähnlich sieht. Der mit dem Glück-Theorem. Komm mal mit, du siehst einem Typen ähnlich, der ein Bier vertragen könnte.“
Im Radius von einskommafünfzwei Kilometer kein Kaffeehaus, sagt das Gerät.
Keines offen, keines da. Absolute Kaffeehausleere. Niemand kann so leben, geschweige denn existieren. Nur Busstation auf Busstation samt verwahrlosten Fahrplänen. Und das gelegentliche Altersheim. Und selbst da sind heute die Lichter aus.
Wir wandern trotzdem durch, gut vorbereitet. Es gibt kein schlechtes Wetter, nur undichte Thermoskannen. Das Ziel: der Schreibwarenladen um die Ecke am Fuße des Anstiegs, der Tinte wegen. Und um das Papier zu fühlen. Atmosphäre kann sie doch, die Stille. Weiterschleichen, den Hügel hinauf, zwischen Häusern, die wahre Schluchten sind.
Alte Fassaden, die irgendwann mal schön gewesen sein konnten, haben es uns angetan, hier bleiben wir stehen und blicken zurück in die wiederkehrende Leere. Dann schnell weiter. Wir wollen nicht die sein, die irgendwann mal da gewesen sein konnten, im Radius einskommafünfzwei Kilometer. Morgen wieder, sagt das Gerät.
Stundenlang in irgendeinem Starbucks gesessen und Weihnachtskarten geschrieben, bei moderatem Weihnachtsgedudel. Ich zeichnete Schneeflocken zu meinen Wünschen.
Dort am Fenster sitzen irische Schauspieler und üben ihren Text für eine sehr deutschsprachige Herbergssuche. Sehr konzentriert. Ich zeichne weiter sehr konzentriert asymmetrische Schneeflocken.
Neben jeden Tisch stehen mindestens zwei volle Einkaufstaschen, die Besitzer verraten mit unruhigen Trinkbewegungen, dass nochmal mindestens ü folgen sollen. Ich zeichne leicht zur Seite hängende Schneeflocken. Irgendwann stehe ich auf, ziehe meinen Mantel an und bringe sie zur Post.
Frohe Weihnachten!
Für dich
sind wir ein
Gros Nichtssager,
Allesproklamierer.
Wir sind
zuviel Punkt,
Extremata.
Für dich
sind wir eine
Sorgenvolle,
Hoffnungsverweigernde.
Haben
hohe Ziele,
nie mehr Zwecke.
Für dich
sind wir
Flammen, ihr.
Für uns
sind wir
Funken, wir
Vor ihr
gehen wir scheu,
Realitätsschande.
Halten
sie vorweg
unter Wasser,
stumme Scham.
Immer gewesen sein
oder
immer sein werden?
Aus dem Fenster schauen, gestern Schnell fallen sehen
und wissen, dass er morgen verschmolzen gewesen sein wird,
grau und laut.
Gewillt sein, die Sonne abzublenden,
denn die Heimatwelt steht, steht, im Verschmelzen gehalten,
in leisem Selbstgespräch.
Um das Labyrinth gearbeitet,
Mauern gestärkt (und beschrieben).
Noch keinen Eingang
gefunden in die Grauen,
die ich suche
ob der Aussichtslosigkeit
des weiten Freien.
Das Tor
ist weg und es bleibt
mir nur übrig,
ein Neues in Kreide zu malen,
damit es als Diode fungiert
für das Objektsubjekt;
hinein, nicht hinaus, nicht hinaus,
hinein in das leere Labyrinth,
es auszufüllen.
Ich sitze hier an einem Tisch und denke, weil ich nichts Besseres zu tun habe. An der Wand vor mir, gegen die ich starre, quasi in einem Wettbewerb, den ich in meiner Rolle als Mensch verlieren muss, stehen Worte, ja sogar Sätze, manche mit passenden Antwortsätzen.
Jetzt sind die meisten Korrespondenzen in keinstem Fall hochtrabend oder interessant. Trotzdem bleibt mein Blick – und ihm folgen meine Gedanken auf dem Fuße – an ihnen hängen, nicht wegen der Brisanz der Kreativauslässe an dieser Wand, die ja mehr einen Akt des Vandalismus als geistige Wachheit oder Wahrheit darstellen, sondern aufgrund der Tatsache, das selbst das sinnfreiste Wort an der Wand von jemandem dorthin geschrieben wurde.
Wer sind diese Personen, die so einsam sind, dass eine Wand der beste Gesprächspartner ist, den sie finden konnten? Was für eine Unsicherheit steht hinter den Obszönitäten des Alltags, die auf ewig und bis zur unvermeidbaren Renovation in den Putz gekratzt wurden. Revolution? Ja, reich mir den Marker.
Fensterschein
ist laut und klein (fern)
war einmal schön
und ungeputzt
Bis der Mann kam
auf Befehl
Zeitungsseiten
bis das Dräußere
wieder war
(wahrgenommen)
Die Doppelfenster glänzen nicht
Atemluft bleibt wie Ruß
kleben
Draußen ruft es laut nach dir
Sehe durch und sieh
dich kleben
Ein Ruf, ein Schrei, am Eichenbaum
deine Haare kleben
Du rennst.
Zwei Personen gehen eine Straße entlang, eine davon, die kleinere, schlägt mit dem Zeigefinger an die Sprossen des fortlaufenden Zauns.
Die Größere: Könnten Sie das bitte lauter machen?
Die Kleinere: Was soll ich?
Die Größere: Lauter! Das wäre schön. Ihre Schlagstockmusik erleichtert mir meine Gedanken.
Die Kleinere: Ich werde mich bemühen. Aua.
Die Größere: Haben Sie sich verletzt? Das sind meine Gedanken beigott nicht wert. Lassen Sie es lieber.
Die Kleinere: Eine kurze Pause. Für den Finger und den Kopf.
Die Größere: Ja, ruhen Sie Ihr Instrument aus, für den nächsten Akt. Meinen Kopf kann ich aber nicht abstellen, das wäre fatal.
Die Kleinere, zu sich: Aber schön.
Die Größere: Meinen Sie?
Die Kleinere: Wahrscheinlich schöner als mein Fingerlärm. Erzählen Sie mir doch von Ihren Gedanken!
Die Größere: Nein. Das kann ich nicht, wirklich, das geht nicht!
Die Kleinere: Gut, wenn es Ihnen gefällt will ich gleich wieder beginnen.
Die Größere summt zum Rythmus der Kleineren.
Die Kleinere: Klack, klack, klack. … Klack, klack.
Die Größere: Könnten Sie das bitte lassen? Sie regen meine Gedanken an.
Die Kleinere: Oh, ja. In Ordnung.
Die Personen gehen weiter. Die Größere ist nun die Kleinere. In ihrem Kopf schlägt der Zaun bereits zurück.
Geht fort, geht weg
Bleibt für immer
Denkt fortweg nach
will ja nicht sehn (sich)
Alte Maschine (im Abverkauf)
bleibt unurbar
und dadurch gut
unter dem Hammer
seiner Zeit nichts wert
Spaziergangsindustrie