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Paradiesklaustrophobien//Ich, Aktionsflächen in archiv,

Wenn ich jetzt losgehe, erwische ich den Zug noch, aber noch suche ich frenetisch nach meinen Schlüsseln. Nein, nicht meine Schlüssel, die habe ich hier, brauche sie aber nicht mehr wirklich. Die Fahrkarte, mein Ticket. Suche ich. Frenetisch.

Ticket für den Zug, den ich noch erwische, wenn ich jetzt losgehe, aber den ich nicht betreten kann, ohne Ticket. Denn: Dieses Ticket gilt auch als Fahrkarte zwei Stunden vor und nach der Veranstaltung. Aber dieses Ticket ist nicht hier, sondern im anderen Raum, dessen Schlüssel ich nicht bei mir trage, weil ich in an dem Ort versteckt habe, als Selbstschutz vor dem Ziel, nein nicht vor dem Ziel, vor dem Zug. Denn ich will da nicht hin. Es war zwar ein Abenteuer und – wie man so schön sagt – eine Ehre, hinzudürfen und ich habe mich auch wirklich gefreut und eigentlich freue ich mich ja eh noch immer, aber hin will ich dann nicht. Mir reicht die Möglichkeit des Zuges,

aber Ubahnen heißen Atemnot.

Also bleibe ich stehen am Bahnsteig, in dem mit Farbe am Bahnsteigboden markierten Bereich, als AKTIONSFLÄCHE abgegrenzt. Dort stehe ich, in der für mich passenden Zone und versuche, versuche, versuche, bis ich es dann auch wieder sein lasse. Mein Körper, die arrogante AKTIONSFLÄCHE, will nicht und agitiert also gegen mich und meinen lächerlichen Willen.

Schon scheiße, wenn du weißt, objektiv, der Zug ist ein guter Zug, und der Ort, an den der Zug dich bringt, ist ein guter Ort, wahrscheinlich, der beste Ort für dich in deinem Zustand und überhaupt ist dieses Event die Möglichkeit für dich, aber der Körper weigert sich, schlicht.

Also bleibe ich hier und denke lieber nicht mehr dran, an diesen guten Ort, weil ich sonst auch an den guten Zug denken muss und ich es nicht schaffe, auf Teufel komm raus nicht schaffe, an meinen Körper vorbei zu denken. Ich winde mich in tausend Verrenkungen pro Minute, in der Hoffnung ihm in die Verwirrung zu entkommen, aber mein Körper ist mir auf die Fersen getackert und schon beim ersten Gedanken von ZUG schickt er ein Bild von ZUG im Tunnel,

stehend, und heißt Atemnot.

Es fehlen die Mittel, zu interagieren, was ich brauche, ist LEVERAGE. Eine Untersuchung wird gestartet, um die Aktionsfläche, meine egoistische Körperlichkeit in die Ecke zu drängen und zu einem funktionstüchtigen Mitglied der Gesellschaft zu formen, mit Bahncard. Das alles ist doch auch nur Kunstmanagement und ich sollte auf meinem Instrument spielen können, wie es mir beliebt, findest du nicht auch?

Aber nein, ich bin hier, ins kollektive Wir gezwungen, wenn ich davon spreche, wie ich meine Aktionsfläche bearbeite, wie ich meine Aktionsfläche bearbeitet, während wir uns im Weg stehen und wir uns Aktionsflächen beobachten.  Wir agieren hier also immer gegen einander, wir Aktionsflächen, das ist unsere Ausgangsposition, das müssen wir einfach akzeptieren, dann geht’s auch wieder. Auch wenn alles immer größer wird, alles außer der abgegrenzte Raum, hier am Bahnsteig. Der bleibt gleich.

Vielleicht ist es der abgegrenzte Raum, an dem ich sein soll. Nicht dieser gute, wahrscheinlich beste Ort, nein, ich weiß ja nicht einmal, ob der überhaupt (noch) existiert. Klar, er steht auf dem Ticket, wie auf einer Karte aus einem mittelmäßigen Gymnasiastenatlanten, aber was heißt das schon? Gleich daneben steht da auch „Tschechoslowakische Republik“ und der „sowjetische Einflussbereich“ ist mit einer fetten roten Linie um den Fahrpreis samt Mehrwertsteuer gezogen. So argumentiert die Aktionsfläche, mit einem polyphonen Wimmern, aus dem nur heraustönt, dass sie nicht zurückbleiben will. Die Aktionsfläche hat noch nicht überrissen, dass ich nicht ohne sie kann, mein Körper ist mir an die Fersen getackert, er braucht nicht winseln. Wenn ich die Wahl hätte —

dieses kleine bisschen Demut würde auch nichts, wirklich gar nichts ändern. Ich reiche ihm also die Hand, weil er eh nicht abzuschütteln ist und stoße ihn vor mich her, so im Kreis herum, bis mir und ihm und Schwindel ist. Dann setzen wir uns hin und ich nehme meinen Schlüssel, den ich noch rechtzeitig mitgenommen habe, zum Glück, in die Hand und kratze uns das PARADIES in den Arm. Er lacht und lobt meinen Pinselstrich. Dann gibt er w.o. Ich habe gewonnen, was mich ein klein wenig freut und kratze weiter ins uns hinein, bis der nächste Zug kommt.

Einsteigen, festhalten, auf den guten Ort — dann Atemnot.



Icareae #7 in icareae,

Baldachin suchen.

Einbubblen in Luftpolsterfolie, bevor man vom Turm springt, Folie ist besser als Fallschirm, denn, sie sieht man nicht bei ihrem Rettungsversuch.

Springen als endgültiger Ausdruck des Gefangenwerdenwollens?

 

Ich fänge mich, wenn ich könnte.

Aber du musst schon springen.

Aber ich muss schon springen, ja.

Ja.

Fängst du mich, nachdem ich sprang?

Baldachin.

Baldachin.

Ich helfe, dein Auffangnetz in Spannung zu halten.

Oh.

Wieso das?

Damit du —

— nicht stürzt.

Gut. Dann springe ich nicht mehr, wohl.

Wohl.

Wäret ihr mir böse, spränge ich nicht?

Baldachin, baldachin.



Animierte Schemen | trüb.txt in archiv,

Du schaust durch ein Fenster wie Apfelsaft und siehst erst mal nichts

// … außer Apfelsaft.

 

Die Augen schaffen es noch nicht, auf ein mögliches Dahinter scharf zu stellen,

das erfordert deine ganze Aufmerksamkeit,

die du ihm aber partout nicht schenken willst.

Deswegen weiterhin:nur Apfelsaft //

–  und animierte Schemen, die müssen reichen.

 

Die animierten Schemen reden tanzen, trinken,

aber du ahnst nur Mundöffnung, hörst Holzbodenknacken

–  durch den Apfelsaft. //

 

Die animierten Schemen trinken, trinken

und du hoffst, sie trinken dem Fenster

// den Apfelsaft aus und schüfen Klarheit.

Aber diesen Gefallen tun sie dir nicht – niemanden.

Selbstschlucken musst du für deine Brillanz, die dir so heilig ist, wie du stets betonst.

 

Selbstschlucken, während die animierten Schemen

lachen über dich und über deinen trinkenden Kopf

frischgepressten Apfelsaft leeren. //

 


Dieser Text ist ein Beitrag zum Wort trüb in Dominik Leitners .txt-Projekt.



Icareae #6 in icareae,

baldachin

Ein Wort, das nur nicht mehr ausgeht. Seit Wochen denke ich baldachin.

Baldachin, Baldachin, Baldachin.

Wer hat ihn erfunden? Warum wollte da irgendjemand den Himmel senken?

Springen vom Baldachin ist semantisch gleichzusetzen mit: Springen aus dem Himmel heraus.

von/aus

Die Erfindung des Baldachins ist nicht nur eine heranholend des Himmels in die Fassbarkeit seiner Betrachter, sondern eine absolute Verflachung des Raumes ‚Himmel‘ und damit eine radikale Ungefährlichkeit des Sprunges.



Icareae #5 in icareae,

X: Ist die Staubschicht auf deinem Gesicht frisch und durchscheinend noch?

Fast bist du schon ein Dia geworden, schämst du dich deiner rückblickenden, gelblich glänzenden Ruhe?

Fortschrittsglaube, Fortschrittsglaube. Bist du ungläubig, denn? Sitzen, stehen, reflektieren. Übst du dein Springen überhaupt noch?

Y: baldachin.

X: baldachin.

[Klack. Nächstes Bild an die Wand geworden.]



Icareae #4 in icareae,

Solange Tauben verscheuchen,

bis sie sich formieren;

Dann nur noch die Hoffnung:auf Möwentag.



Icareae #3 in icareae,

//Fliegen ist immer

//auch Nichtfliegen.

Nur der Grad der

Plötzlichkeit//

variert.



Icareae #2 in icareae,

Zentraler Knackpunkt:

Ikarus war kein Idiot.

 

Angesichts seines Genie-Vaters und dessen zu vermutenden Unterrichten, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Ikarus dumm genug war, trotz vielfacher Warnung mittels seiner Wachsflügel zu nahe an die Sonne zu kommen und dadurch eben diese Wachsflügel zu vernichten.

Daraus folgt: Ikarus wollte abstürzen.

Die Frage ist: WARUM?



Icareae #1 in icareae,

//Junge Menschen sitzen

in einem großen Raum,

um rational zu denken.

//Sich das Irren auszutreiben,

sind sie ausgezogen.

Jetzt sind wir hier,

im [digitalen] Auffangnetz.



Anheben in archiv,

Null. Eins.

Die sicherste Sicherheit, die berechenbarste Reihe machte ihm die größten Probleme. Noch mehr Probleme, wenn man seine Dauerschleife an Gedanken so nennen konnte, als die Welt, aus der er sich damals in die Zahlen geflüchtet hatte.

Eins. Zwei.

Seine Aufsichtspersonen hatten ihn in Richtung dieser Zahlen eingenordet, als er mehr und mehr an der Unverlässlichkeit zu beißen hatte, denn die Zahlen schienen ihnen ein verlässlicher Partner. Damals war man noch von der Angst beseelt, dass unzufriedene Kinder nahezu zwanghaft auf die schiefe Bahn geraten mussten. Aus ihrer pädagogisch wertvollen Sicht war wohl das Verantwortungsbewusste gewesen, solchen Schülern und Schülerinnen Aufgaben als Leitbanden zur Seite zu stellen. Die Narren! Und er hatte in seiner Verlorenheit die Schienen nur allzu gerne mit großen Augen angenommen, sie zu Gängen gemauert aufgezogen bis in den Himmel, geweißt zum Aufzeichnen des Folgenden benutzt. Das einzig Spontane an seiner Folge war von da an seine variierende Handschrift und auch bei der ließen sich Muster festmachen.

Die Zahlen gestalteten ein sicheres Zimmer in dem Haus, in dem er mit der Menschheit lebte.

Drei. Fünf.

Doch in all der Sicherheit hatte er schließlich den Riss in der Wand entdecken müssen. Er war so alt, nicht mehr zu sehen, nur beim langsamen Berühren der Zahlen fühlte man seine Präsenz. Aber da war er, und beim ersten Kontakt hatte er sich bei ihm festgesetzt. Jetzt ließ er ihn nicht mehr los. Wo die mathematischten Denker einfach weiterzogen zu hehren Zielen, schrie es ihm entgegen:

Es gab keinen Anfang.

Acht. Dreizehn.

An den Anfang hatte man die Null gesetzt, danach selbstverständlich, wie es scheint, die Eins. Danach lief wieder alles regelrecht ab, nur diese ersten beiden Ziffern hielten sich an nichts. Nur eine Episode, Null. Eins. Pures Chaos, aus dem alles entstand?

Einundzwanzig. Vierunddreißig.

Wenn die Anfänge nicht richtig waren, wie konnten sie dann solche idealen Regelmäßigkeiten hervorbringen, die schließlich die Welt erklären konnten? War die Ordnung der Nachfolgenden gar eine Illusion, die sich Suchende wie er in die unglückliche Zufälligkeit gesetzt hatten, um sich daran festzuhalten? Null. Eins. Erste in einer Welt von Chaoten? Vielleicht hatte Fibonacci einen Fehler gemacht, oder einfach zu früh aufgehört. Hatte er es überhaupt als fertig angesehen? Null. Eins. Großes scheitert immer am Anfang, nie am Ziel. Noch nie hatte er von etwas gehört, das fertig war und plötzlich falsch.

Fünfundfünfzig. Neunundachtzig.

Die Zahlen waren nicht mehr sicher, jetzt wo er sah, wie brüchig ihre Grundfesten waren. Aber er konnte schließlich auch nicht hinaus, so weit hatte er sich frohen Mutes eingemauert, ohne eine Tür zu lassen. Mit festen Füßen in ungewusste Fehler einbetoniert.

Die Unruhe wuchs in ihm, er setzte sich, um ein paar neue Zahlen zu notieren. Einhundertvierunddreißig. Zweihundertdreiundzwanzig. Unter seinen geschlossenen Lidern prangte der Spalt. Wieder aufstehen, um ihn zu untersuchen. Null. Eins. Die unbeschriebenste, ursprünglichste aller Dichotonien: Nein. Ja. Nicht. Schon. An den Anfang der größtmöglichen Harmonie hatte jemand den ultimativen Gegensatz gesetzt und ihm dann an den Kopf geworfen. Es waren immer solche Momente gewesen, in denen er an höhere Wesen glaubte. Der Demiurg musste ein Sadist sein.

Dreihundertsiebenundfünfzig. Fünfhundertachtzig.

Die perfekte Reihe musste sich doch wehren, ihren lachhaften Ursprung zumindest im Nachhinein verbannen. Aber die Zahlen liefen weiter, keine Entschleunigung, kein Blick zurück. Den ließen sie ihm über, so musste er wohl ihre Rache führen. Ausbrechen, Einbrechen. Zum Einstürzen bringen? Die Ordnung in ihrem Ursprung zuführen. Weiterschreiben, die Zahlen zum Vorschlaghammer formen. Anheben.

Neunhundertsiebenunddreißig. Eintausendfünfhundertsiebzehn. Zweitausendvierhundertvierundfünfzig. Dreitausendneunhunderteinundsiebzig. Sechstausendvierhundertsechsundneunzig. Null. Eins.

Null. Eins.

Null. Eins.

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Dieser Text ist Teil des Projekt .txt auf neon|wilderness, Wort „Wahn.“



späterfrüher
iterationen ist mein digitales journal.

Iterationen deshalb, weil das hier eine neue Iteration einer alten, sich entwickelten Instanz ist, aber auch weil sich hier immer neue Iterationen von Gedanken finden werden.