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Eine Viertelstunde. Ein Monolog in archiv,

Eine Viertelstunde … nur eine Viertelstunde, sagen Sie?

Beim Arzt sind Sie gewillt, zweienthalb Stunden in einem Wartezimmer zu sitzen und Zahn-arzt-zeitschriften zu lesen, … Nur weil es um Ihre Ge-sund-heit geht.

Aber auf die Liebe, … auf die Liebe sind Sie nicht gewillt, länger als eine Viertelstunde zu warten. Verstehe ich Sie richtig?

Sie kommen hier herein und wollen sofort bedient werden? Fast-Food-Liebe, das wollen Sie.  Wenn man lange genug hungert, … scheißt man irgendwann auf Nachhaltigkeit, sagen Sie. Wollen hier wohl Ihre neueste Heißhungerattacke stillen?

Was soll denn das?!

Gehen Sie jetzt bitte weiter.



Der große Lehrer – Über Robin Williams in archiv,

Hook war der erste Film, den ich ohne Diskussion mit meinem Bruder anschauen konnte, da wir ihn beide gleichsam großartig fanden, was auch nachher nur noch selten der Fall war, und als die VHS-Kassette ob der Dauerbelastung das letzte Uhrticken im Magen des Krokodils von sich gegeben hatte, waren wir sehr begtrübt und in der Folge lange nicht mehr so friedlich beim Auswahlprozess für das gemeinsame Heimino.

Der große Peter Pan meiner Kindheit blieb dann längere Zeit die einzige Rolle, in der ich Robin Williams wahrnahm, Jumanji sah ich zwar, konnte ich aber erst viel später wertschätzen. So blieb er in meinen Gednken lange gebucht auf lustige Kindheitshelden. Erst als wir im Englischunterricht, ich war wohl fünfzehn oder sechzehn, Dead Poet Society zu sehen bekamen, eröffnete sich mir eine ganz neue Welt, eine Welt mit Robin Williams als kongenialen Charakterdarsteller und Mentor in ihr. Es muss nicht gesagt werden, wie begeistert ich war, aber sein Unterricht war neben dem meiner Deutschprofessorin wohl entscheidend für meine eigene Beschäftigung mit Literatur und in weiterer Folge meiner Entscheidung selbst schreiben zu wollen. Bis heute wünsche ich mich in eine literarische Geheimgesellschaft.

Seine Position als liebevoller, aber bestimmter Mentor einer ganzen Generation festigte er für mich weiter in Good Will Hunting, eine Rolle, für die wohl mehr als den einen Oscar verdient hätte. Ob aus seinem einzigartigem Humor oder aus seiner ernsthaftigen Gütigkeit, die er jedem einzelnen seiner Charaktere verlieh, ich lernte überall unglaublich viel von ihm. Vor allem zeigte er, dass Komik nicht ohne Menschlichkeit, Ernsthaftigkeit aber auch nicht ohne manchen Witz auskommen kann. Diese Mehrgestaltigkeit der Existenz hat es leider auch in seinem eigenen Leben außerhalb jeder Rollle gegeben, wie sich jetzt auf schrecklicher Weise offenbarte. Es ist unendlich traurig, dass er, der so vielen Charakteren und durch sie tausende Zuschauer tröstend die Hand auf die Schulter legte und ihnen Auswege aus der Dunkelheit wies, für sich selbst nur diesen einen, endgültigen fand.

Es bleibt nur, seine Botschaften weiterzutragen und sein Andenken hochzuhalten, auf dass er uns weiterhin Lehrer und Mentor sein möge. Seine Lieblingsfilme wieder auszupacken, kann da nur ein Anfang sein.

Um meinen kurzen Text zu beenden, wie heute alle Texte enden sollten:

Oh captain, my captain, wir vermissen dich schon jetzt.



Lautes in archiv,

Läuten Sie,
Lassen Sie läuten.
Lauter
Läuten.

Klingelt es?
Kommen Sie,
Klingeln.
Klopfen Sie?

Ist da jemand
An einer Tür?
Nein, läuten
Ohne Tür,
Selbstbewusst.



Simon Scharinger: Kurzer Gedanke zum Glück in archiv,

Ich frage und zerstreue mich oft, in wie weit sich mein Verständnis und Empfinden von Glück verändert hätte, wären da nicht all die Kultur, all die Geschichten und Erzählungen vom Glück. Wenn man bloß auf die Generationen von Menschen vor einem selbst hört und achtet, die in ihren Erzählungen Glück und Unglück einzementieren in starre Formen und klare Abläufe, wird man immer glücklicher sein wollen, als möglich ist. Ein Mitbringsel dieser uneigenen Welt ist wohl, dass das Glück zwangsläufig das Unglück als Gegenpol mitschleppt. Wenn man glücklich ist, wartet man deshalb oft schon von Anfang an den Schwenk ins Unglück ab. Hat man überhaupt noch eine eigene Wahrnehmung von diesen Dingen, oder ist Glück, was als Glück im Wörterbuch definiert steht? Würde man ohne das Wissen von diesen vorgelebten Glücks- und Unglücksgeschehnissen, eben diese nicht viel unbekümmerter hinnehmen können und tatsächlich glücklich (und unglücklich?) sein? Wäre es denn nicht eine Bereicherung, nichts davon zu erfahren?

Dies ist ein Beitrag zur encyclopedia felicis, einer Blogserie, in der Autoren eingeladen werden, Gedanken über das Glück in Form zu bringen.

Simon Scharinger, geboren 1991 in Schärding, studiert in Wien, schreibt und singt nicht nur dort. Lesen kann man ihn unter anderem auf seinem Blog, auseinandersetzungen. Ein weiterer Text zum Glück, Federleicht, erschien im März 2014 ebenhier.



Cut. in archiv,

Carl: Es wäre gut, könnten wir einfach…

Thomas: Cut! Neubeginnen.

Carl: Genau. Cut! Neuinszenieren, neupositionieren.

Thomas: Cut! Sind wir dann Neue oder sind wir noch wir?

Carl: Ich hoffe…

Thomas: Was hoffst du? Auf einen rettenden Cut?

Carl: Ich hoffe… auf ein neues Wir, darauf, dass dieses jetzige Wir zu einem Ihr wird und trotzdem noch zu mir gehört… Kannst du das nachvollziehen?

Thomas: Durchaus. Aber verstehen kann ich es nicht. Cut! Altes sollte verworfen werden, finde ich. Denn das Alte versteht man aus Prinzip…

Carl: Ist das schlecht?

Thomas: …nicht.

Carl: Das Schicksal von Scheidungskindern. Cut! Wiederverheiratet.

Thomas: Die sind ja Schnittstellen.

Carl: Schnittstellen in ein Leben vor dem…

Thomas: Tod?

Carl: …Tod? Kollaps. Da muss man höllisch aufpassen, dass diese Schnittstellen nicht zu prophezeien anfangen.

Thomas: Cut. Zu Schwachstellen werden. Wie kann man das verhindern?

Carl: Reibungskräfte minimieren.

Thomas: Reibungskräfte dezimieren?

Carl: …Ja. Teile und…

Thomas: und Cut.

 

Pause. Die Kinder kommen herein, laufen einige Male um den Tisch, verschwinden dann wieder in das Nichts aus dem sie entstanden sind.

Einer verzieht sein Gesicht, wie aus schmerzhaften Erinnerungen.

Thomas: Wie es ihnen wohl…

Carl: geht?

Thomas: …ginge? Cut. Alles nur Traum.

Carl: Das sind auch nur Worte. Noch eine Tasse Kamillentee, bitte.



Aktion in archiv,

Wir hatten uns vor Ewigkeiten getroffen und saßen dann ebenso lange am Gehsteigrand vor dem Café, bevor wir eintraten. Man hatte uns auf unseren Zustand angesprochen.
– Wir bleiben hier.
– Das ist eine gute Idee, lass uns hierbleiben. Eine Tasse Kamillentee, bitte.
sagte er und es kam einer Liebeserklärung gleich.
Also bleiben wir hier. Und wir liebten einander, obwohl wir unsere Körper verabscheuten, aber der Geist steht über allem, wie ich ihm beim ersten Anzeichen von Zweifel erklärte, gepaart mit Übelkeit.
Er schwieg lange Zeit, in etwa zwei Tassen Tee oder drei Monate.
– Aktion, brachte sie hervor, mittlerweile hochschwanger.
– Aktion. Ak – tion.
Das verstand ich als Aufforderung und stand auf. Verständlicherweise fing er an, zu schreien, würde doch das ganze Ausmaß unserer horrenden Körperlichkeit sichtbar. Also begann ich zu tanzen, da ich sonst nichts konnte.
– Wir bleiben hier.
– Ja. Wir … bleiben … hier.
Das war uns genug Aktion für den Moment und die Ewigkeit. Wir würden bald Vater werden, hatte sie uns gesagt, als sie ging. Aber das waren nur Worte.



Dominik Leitner: In uns selbst liegen die Sterne unseres Glücks in archiv,

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Wir streben ewig nach Glück und können es doch so schwer definieren. Immer gefangen in der Unbeständigkeit, erfüllt von der Angst, dass es jederzeit vorbei sein könnte, will man es festhalten und nicht verlieren.

Was ist Glück? Was macht mich glücklich? Natürlich fallen mir ein Dutzend Dinge ein, die mich glücklich machen. Die der Inbegriff von Glücklichkeit sind. Doch sind sie es wirklich. Sind sie nicht vielmehr ein Haltegriff, ein kurzzeitiger Schutz vor dem Verderben, dem Untergang? Ist man ohne diesen Dingen ganz einfach unglücklich oder gar ganz verloren? Es sind Geschichten, die mich glücklich machen, es ist ehrlich gemeintes Lob, es sind Ideen, Erfolge und ganz besonders sind es Menschen. Besondere Menschen. Doch Glück besteht doch niemals ohne Angst, oder?

Wer einmal glücklich war – wer ein Lächeln geschenkt bekam, etwas Nähe, pures Glück -, hat das Leben gespürt. Wem das alles aber genommen wurde, unerwartet, aus dem Rückhalt, ohne Grund, kann sich wohl lange Zeit nur mehr schwer an einem Glücksgefühl ergötzen. Weil doch alles eine Ablaufzeit hat und alles ein verdammtes Ende. Und weil Enden selten glücklich sind, denn Glück soll doch niemals enden.

Ich bin glücklich, wenn ich in meinem Element bin. Mein “Element” ist das Schreiben, ob nun literarische oder journalistische Texte. Das Spielen mit den Worten, das behutsame Aneinanderreihen der Sätze, das Eintauchen in die Welt der Fantasie und auch der Fakten. Schreiben macht mich glücklich, bringt mir Ruhe und hüllt mich ein. Glück hat somit auch etwas mit Leidenschaft zu tun und mit Hingabe. Nur etwas, in dem ich voll aufgehen kann, macht mich glücklich. So wie auch die Liebe: das Aneinanderkuscheln, die kleinen Neckereien, das Beobachten und Aufmerksamsein, das alles bedeutet für mich Glück. Etwas nachdem ich lange Zeit gestrebt habe, dass irgendwann erfüllt wurde und das ich nicht mehr gehen lassen möchte. Nichts bebt eindringlicher in meinem Körper als die richtigen Worte des Gegenübers. All das ist Glück und all das ist vergänglich.

Und manchmal verliere ich mich im Zwang des Glücklichseins. Wenn ich mir noch tage- und wochenlang vormache, vollkommen glücklich zu sein, und in Wahrheit rammen sich ganz kleine, feine Splitter in diese Schutzhülle, in diese Schicht Glück, die vielleicht auch nur mehr eine Erinnerung ist und ihre jetzige Existenz in Wahrheit schon gar nicht mehr nachweisbar ist. Das ist meist der Beginn eines tiefen Falls, denn anstatt langsam in ein Tief zu gleiten, pusht man das Glück immer weiter, verfällt vollkommen dieser unsäglichen Glücksutopie, bis zur Spitze, bis es nicht mehr geht und dann ist es plötzlich klar und voller Schmerz und man fällt und fällt und fällt. Und trotz der Erinnerung an die unzähligen Momente des Fallens, oder vielleicht sogar gerade deswegen, passiert es mir immer wieder, dass ich den Kokon zu bauen beginne, obwohl der unebene Grund unter mir doch eigentlich schon eine Warnung hätte sein sollen.

Ist Glück somit immer nur die Überbrückung bis zum Tiefstpunkt, kennt man die pure Glücklichkeit nur beim Aufstieg an die Spitze, nur um dann wieder nach unten gestoßen zu werden und wieder von Neuem den Weg hinauf in Angriff nimmt? Wäre dann dieses Glück nicht einfach nur sinnlos und würde man sich dann im Laufe des Lebens und im Laufe der Erfahrungen irgendwann die Hörner abgestoßen, die Liebe zum Glück abgewöhnt haben? Ich kann es nicht sagen, aber ich will es auch einfach nicht glauben.

Nichts ist unzerbrechlich, und vielleicht ist das der Grund, warum das Glück einen so reizt. Weil man immer danach streben muss und darum kämpfen. Weil etwas Unachtsamkeit und falsche Abzweigungen das Ende des Glücks bedeuten könnten. Man wird aufmerksamer, wird rücksichtsvoller, nur um das Glück auch weiterhin zu haben. Nur um nicht abzustürzen, nur um on Top zu bleiben. Und manchmal … ja, manchmal kann man tun und machen, was in der Macht steht, und trotzdem ist es weg. Das ist die schlechteste aller vorstellbaren Theorien.

Aber selbst wenn man das schon einmal durchgemacht hat, endet nie der Glaube ans Glück, oder der Wunsch danach. Denn das pure Glück ist wie eine Droge, das pure Glück lässt einen strahlen. Völlig sinnlos wäre das Leben, wäre da nicht das Glück. Und wie schrieb der kürzlich verstorbene Autor Gabriel García Márquez: “Weine nicht, weil es vorbei ist, sondern lächle, weil es so schön war.“ Und vielleicht beschreibt dieses Zitat am Besten, wie man mit der Absurdität des Glücks umgehen muss. Auf es zu verzichten, weil man sich der Endlichkeit bewusst ist, wäre einfach nur verwegen. Und selbst wenn das Ende einkehrt, so gab es doch diese unzähligen Momente des Glücks, die dann zwar nicht mehr existent, aber doch noch in der Erinnerung vorhanden sind. Und auch wenn das Glück verloren gehen kann, so muss das nicht auch mit der Erinnerung passieren.

Und auch Heine trifft mit seinem, meinem titelgebenden, Zitat den Nagel auf den Kopf. Nur selten wird uns die Essenz des Glückes ohne Grund ins Schoß gelegt, nur selten werden wir mit Glücksgefühlen belohnt, sondern wir selbst müssen es in die Hand nehmen, wir selbst sind die Boten des Glücks. Für andere Menschen, aber auch für uns selbst.

Denn so sehr das Leben versucht, einen Menschen pessimistisch werden zu lassen, so sehr bietet Glück etwas Hoffnung. Und diese Hoffnung nährt einen, lässt einen streben, kämpfen, für das Gefühl des Glücks, schenkt einem eine Aufgabe. Und mit der Aufgabe, glücklich zu sein, hört man das ganze Leben über nicht auf. Denn Glück ist in Wahrheit unbezahlbar, unerreicht und wundervoll. Glück ist das Höchste und Glücklichsein ist Leben.

„In uns selbst liegen die Sterne unseres Glücks“ erscheint als Teil von encyclopedia felicis, einer Reihe von Texten über das Glück auf erstgewesen.com. Dominik Leitner wurde 1988 in Pinsdorf, Oberösterreich geboren, wohnt in St. Pölten und studiert in Wien. Er ist (unter anderem) glücklich, wenn er schreibt: egal ob literarisch oder journalistisch.



Katharina Peham: Glück, das: in archiv,

Plötzlich haben wir uns die Welt aus dem Kopf getanzt. Wir waren heimgegangen und nun lagen wir zwischen vergangener Nacht und herannahendem Morgen. Wir lagen nun zwischen Gestern und Heute, zwischen dem Ja und dem Nein, zwischen all dem, was bereits gesagt wurde und noch ausgeschwiegen wurde. Wir waren mitten in unseren Zwanzigern, die Hoffnung hatten wir uns an die Haustür geklebt, gesucht hatten wir sie zwischen Zeit und Raum der Momente, die wir längst hinter uns hatten, zwischen dem, was noch vor uns lag und einen Weg, den wir noch nicht beschritten hatten. Wir hatten nach der großen Liebe gesucht und allzu oft temporäre Zuneigung gefunden, zwischen dem Vielleicht und Bald, in der Hoffnung auf die Dauerhaftigkeit.

Wir waren Linien an der Wand, parallel laufend gewesen, du meintest, es wäre traurig, weil sie sich nie berührten, aber es war besser als sich nur einmal zu kreuzen, wie normal aufeinander zu stehen, sich im Kreis zu drehen, sobald man uns in Bewegung setzt. Drehen, durchdrehen, abdrehen, das Leben aufdrehen – wir hatten das bereits alles gelernt. Vor lauter Drehen hatten uns unsere Füße wehgetan, wir hatten uns den Kopf leergetanzt, wir waren in halbkaputten Schuhen nachhause gelaufen, noch nicht sicher wo das für uns ist, aber weg aus der dampfenden Wolke, die sich aus zu lauter Musik und zuviel Alkohol aufgebaut hatte.

Weg, die Straße entlang, links, an der Bushaltestelle, wir hatten weitergetanzt, langsam zueinander gedreht, ineinander verschlungen. Wir drehten, drehten, drehten am Schicksal, an den großen Fragen des Lebens, die wir jetzt noch nicht beantworten konnten, wir drehten am Kompass, unser Norden war die Hoffnung, wir drehten uns für die Hoffnung, hoffend, dass das Leben einmal gut zu uns sein würde. Die Bushaltestelle mutierte zu unserem Tanzsaal, ganz nach unserem Geschmack, wir tanzten Walzer, die Sternenkronleuchter drehten sich mit uns. Niemand war da, wir waren allein, wartend gefangen, aber wild, frei, wundertoll, das Ende noch ungewiss.

Wir hörten die Pauken der Vergangenheit, die falschen Töne im Orchester, unser Kopf drehte sich, und wir mit ihm mit, unser Groschen war noch nicht gefallen, wir drehten ihn noch fleißig. Es war noch kalt, die Luft zog in unsere Lungen, sie hielt uns wach, die kleinen Schnapsflaschen waren unser Champagner, wir tranken auf das Leben, das uns zu oft schon enttäuscht hatte, uns die Eintrittskarte für das bessere Leben verwehrte. Du holtest Zigaretten aus deiner Jackentasche, wir bliesen uns die Verachtung unserer Jugend aus den Lungen, zum Schreien waren wir zu müde.

Mit Zigaretten in der Hand, über die Schulter des jeweils anderen tanzten wir weiter, die Nacht war noch jung. Niemals waren wir die Asche, wir verweigert den Tag, in der Nacht lebten wir, unsere Gedanken tanzten wie aufgewirbelter Staub. Ich schmiegte mich an dich, ich wollte mich festhalten, die Gedanken kreisten im Kopf umher, du mutiertest zu meinem Hydranten, ich drehte mich um dich. Wir stiegen in den Bus, du legtest deinen Arm um mich, wir betrachteten die Stadt als würden wir sie zum ersten Mal sehen. Die Lichter tanzten weiter, immer im selben Takt, sie waren noch nicht müde. Die Füße verschränkten wir, die lose Abwehrhaltung, mehr war uns nicht mehr möglich zwischen dem Gestern und Heute. Du warst nicht außer Atem gekommen, Hydraten kamen nicht außer Atem, dein Brustkorb hob sich sachte und senkte sich ebenso. Deine Hand legtest du auf meine Beine, sie durften ruhen, wir hatten lange genug getanzt, unsicher, ob sie meine Hände nochmals sanft nehmen sollten und mich noch einmal drehen sollten. Wie die Sonne sich um die Erde drehte, so hatten wir uns gedreht, der eine verbrannte, während der andere näher kam, irgendwann würde es wohl so weit sein. Immer zwischen Spannung und Anspannung. Wir verschmierten die Fenster zum Abschied mit unseren Namen, niemand würde mehr wissen, wer wir waren, unsere Namen ein Bild unser Selbst. Die Namen würden bald vergehen, doch wir waren Musik, Lied, Strophe, Hauptsatz, Seitensatz, Sequenz, Vorsatz, Nachsatz, Takt. Du warst Leitmotiv, meine emotionale Kadenz, meine Bluenote, meine Bridge und mein Solo. Wir waren das Thema und seine Variation, wir waren Dux und Comes, Reprise und Wiederholung.

Gehalten vom Leben humpelten wir die Straße hoch, beinahe hätten wir den Asphalt geküsst, er kühlte langsam aus, die Beine taten uns weh. Manche Randsteine fehlten bereits, wie Erinnerungen, die wir nicht mehr wollten und vergessen hatten, oder so taten, als hätten wir sie vergessen. Es war schwierig, nicht in die Löcher zu fallen nicht in die Kippen, die zu hundert auf dem Boden lagen. Endlich da, wo wir hin wollten, wir waren da, wir saßen lachend auf der Straße, weil der Schlüssel nicht in das Schloss finden konnte, die Meisterübung zwischen den Tagen, die bereits vergangen waren und noch vor uns lagen. Wir schafften uns die Treppen hoch, viel zu laut, wir würden die Nachbarn mit unserem Gelächter wohl wecken, es war uns in diesem Moment egal, wir drehten uns, und das Leben tat es uns gleich. Die Haustüre schoben wir nach innen, die Schuhe warfen wir weg, wir waren eine Fabel ohne Tiere, wir waren die Realität ohne Bezug, Sätze ins Leben geschrieben, ohne größere Moral.

Realitätsfern tänzelten wir ins Badezimmer, die Dusche war ein Kurzflug zwischen dem Stempel, der uns aufgedruckt worden war und seinen Resten auf dem Handgelenk. Die Haare waren noch feucht, in Handtücher gewickelt hatten wir uns ins Bett getanzt, der Dampf aus dem Bad begleitete uns, er machte sich auf die Reise aus dem Fenster, wir wünschten ihm viel Glück. Wir lagen nun da, Arm in Arm, das Fenster hatten wir geöffnet, es war eigentlich viel zu kalt dafür, wir wollten die kalte Brise spüren, die uns die Gänsehaut auf den ganzen Körper trieb, so wie Bewegung der Fingerspitzen auf dem Körper des jeweils anderen. Die Haare rochen nach Hoffnung und Fantasie, nach dem Mittelmeer, nach botanischen Gärten, nach Zeiten, die noch nicht angebrochen waren. Wir lagen hier, schweigend, den Kopf ausgetanzt, eingerollt in den Handtüchern zwischen dem Wachzustand und dem Traum. Der Wind wehte sich in alle Himmelsrichtungen, die Sternenkronleuchter schwankten noch langsam, bevor ihnen nach und nach das Licht ausging. Kondensstreifen am Horizont konnten wir entdecken, wir waren zu müde, unsere Reise ging im Heute nicht mehr weit. Die Vögel fingen an ihre Melodien zu singen, wir wollten nicht mehr tanzen, wir hörten dem Orchester zu, traumschwanger zu der Wirklichkeit getrieben, die Hände genau da. Die Sonne hatte bereits ihren Tanz begonnen, wir liegen da, zwischen Heute und Morgen1.

1 Glück das, -s/-: etwas, was Ergebnis des Zusammentreffens besonders günstiger Umstände ist; besonders günstiger Zufall, günstige Fügung des Schicksals (vgl. Duden 2014, o.S.)

 

Katharina Peham, Jahrgang 1990, schreibt und dichtet unter der Namen katkaesk. Worte über das Glück, die Hoffnung und das Leben sind auf katkaesk.com zu finden.



Felix Schifflhuber: Mein Name ist Glück in archiv,

Mein Name ist mehr. Mein Name ist Glück. Er beschützt mich, wenn es dunkelt. Er führt mich, wenn es finstert.
Ich habe keine Erklärung. Ich spüre es. Das Geschenk meiner Eltern. Es ist immer bei mir. Ist immer bei mir gewesen.
Und deshalb suche ich. Ich will ein Wort verschenken. Danke. Ich suche. Und finde nicht. Wer will das Wort hören? Wer will es annehmen? Ich brauche es nicht.
Der Altar steht bereit. Weihrauch steigt höher. Doch der Rahmen ist leer. Es hängt kein Bild über meinem Altar. Ich habe kein Bild. Vom Glück.
Ich gebe mir die Hand. Mir selber. Probiere es zu sagen. Danke. Das Gefühl ist falsch. Ich bin nicht das Glück.
Meine Taufe? Vielleicht. Sind meine Eltern das Glück? Ist es der Priester?
Ich suche weiter.
Soll man suchen? Soll man finden?
Mein Name ist Glück. Doch ich finde das Glück nicht. Ich habe es nur. Aber ich sehe es nicht.
Wer das Glück sieht. Irgendwann einmal. Sagt ihm Danke. Von mir. Es wird sich auskennen.

 

„Mein Name ist Glück“ gehört zur encyclopedia felicis, einer Reihe von Texten über das Glück. Felix Schifflhuber wurde 1992 in Ohlsdorf, Oberösterreich geboren, ist Student der Germanistik, Musikwissenschaft und Anglistik in Wien.



Der, der sein Glück verließ in archiv,

Er hatte sein Glück verlassen.

Das Glück war sein ältester Freund. Soweit er sich zurück erinnern konnte, war das Glück da. In der Schule teilte er sein Pausenbrot mit ihm.

Als er aufwuchs, begann ihn diese intensive Beziehung einzuengen. Das Glück hatte ihn sein ganzes Leben über begleitet, war ihm auf Schritt und Tritt gefolgt. Er hielt es für einen ungefragten und mehr und mehr unerwünschten Begleiter, wenn nicht für einen Verfolger. Es kam ihm vor, als würde ihm das Glück das Leben vermiesen, versuchen, sich zwischen ihn und seine Erfahrungen zu stellen. Er musste handeln. Etwas verändern, um sein Leben zu leben.

Er war also eines Nachts, als das Glück tief schlafend neben ihm im Bett lag, leisen Fußes aufgestanden, hatte das Wichtigste in einen Rucksack gepackt und war auf Wanderschaft gegangen. Er hatte es nicht geplant und so hatten seine Taten Hand und Fuß. Für einen Außenstehenden hätte es ausgesehen wie eine Flucht, ihm erschien es als Befreiung. Er würde etwas tun, dass er sich lange gewünscht hatte. Er wollte das Leben lernen.

So zog er also durch die Welt, ganz alleine, auf das Schlimmste hoffend, er wollte sein Pech austesten. Das Unglück würde ihn zum Menschen machen, so dachte er. Er hatte bisher nur in seiner vom Glück getragenen Blase existiert, doch er wollte seine Vision klären. Leben bedeutete scheitern. Er wollte das Scheitern kennenlernen.

In den ersten Tagen schwebte er fast durch die Straßen. Die jahrelangen Lehren seines Begleiters hatte er noch in sich und er befolgte sie intuitiv. So konnte ihm nichts geschehen. Doch immer mehr vergaß er das Gelernte, er begann zu stolpern. Dann fiel er zu Boden. Das freute ihn. Jetzt würde das Leben beginnen, war er sich sicher und stand mit einem Grinsen wieder auf, putzte sich schwungvoll den Dreck von der Hose und ging weiter seines Weges. Er sollte noch oft fallen.

So kam er weit in der Welt herum, immer auf der Suche nach dem nächsten Unglück. Was er sah und erlebte, tat ihm weh, doch dieser Schmerz hatte für ihn stets etwas Gutes an sich, das den Geschmack des Blutes im Mund überdeckte. Wie sehr seine Knie auch aufgeschunden waren, er hatte für alles ein Lächeln übrig. Denn die Schmerzen erschienen ihm als Wink der Welt, dass er auf dem richtigen Weg unterwegs war. Der Boden begrüßte ihn im Leben. Und der Regen, denn es regnete jetzt oft, wusch ihm den Dreck von den Armen.

Die ersten Jahre haftete der letzte Einfluss des Glücks noch an ihm, seine Spuren klebten wie Feenstaub an ihm und trugen ihn sicher von Hier nach Da. Doch aller Proviant ist einmal aufgezehrt. So wurden seine so überschwänglich begrüßten Pannen zu Pechsträhnen und seine Pechsträhnen zu Katastrophen. Jetzt musste er sich zu dem Lächeln, dem er sich verschrieben hatte, zwingen und der Weg zur nächsten Rast schien ins Unendliche zu gehen. Der Regen wurde stärker. Als es damals zu regnen begonnen hatte, empfand er das Nass angenehm und erfrischend, doch nun war ihm jeder Tropfen eine Bombe auf seinem Kopf. Nach und nach begann er zu zweifeln, ob sein Weggang von Daheim wirklich das Richtige gewesen war. Hätte er damals wenigstens eine Nachricht hinterlassen, wäre alles nicht so schlimm gewesen. Doch so würde er zu Hause bestimmt auf verschlossene Türen stoßen, das Glück würde ihn nicht hineinlassen, warum sollte es auch? Eher würde es ihn vom Fenster aus anspucken. Nein, zurück konnte er nicht.

Eben dieses Glück saß zuhause saß auf dem Bett. Seit er in jener Nacht aus dem Zimmer gegangen war, wartete es hier auf ihn. Natürlich hatte es gemerkt, wie er seine Sachen packte und wie er leise die Tür schloss. Doch es konnte und wollte ihn nicht halten. Wenn er versuchen wollte, ohne ihm auszukommen, würde es ihm nicht im Weg stehen. Es war sich sicher, dass er zurück kommen würde, wenn ihm die Realität des Leidens zu real würde. Sie kamen noch alle zurück, irgendwann war jedem das Fallen zu viel.

Aber es zogen die Jahre am Fenster vorbei und das Glück war immer noch alleine. Die einzigen Wege des Glücks waren die in die Küche und wieder ins Bett, immer mit einem lauschendem Ohr, dass vielleicht doch noch den Heimkehrer hören könnte. So zogen die Jahreszeiten am Fenster vorüber und sie waren glücklos und kurzatmig.

Das Pech zeichnete den Jungen, der mittlerweile ein stattliches Mannesalter erreicht hatte, sehr und so sah er weit älter aus als er es war. Die vielen Stürze hatten ihm die Knochen zermürbt und das Gehen fiel ihm schwer. Doch all diese Leiden waren harmlos, wenn man seine schwerste Krux betrachtete. Seine Augen waren nutzlos geworden, denn sie sahen nur noch die Vergangenheit, sie zeigten ihm das Glück, dass er verlassen hatte und sie gaukelten ihm das Glück vor, welches er haben hätte können, wäre er nur nicht so töricht gewesen. Diesen Schein vor Augen war er gealtert, denn zu all dem Ungeschick kam das Selbstmitleid hinzu und vertrieb auch die letzte Abenteuerlust aus seinen Gedanken und das kleinste, kümmerlichste Lächeln von seinen Lippen. Glücklos, wie er sich gemacht hatte, war er zu einem gebrochenen Mann geworden.

Das Glück hatte ein Leben lang auf ihn gewartet. Zusammen hätten sie Berge versetzen können, doch getrennt von einander waren sie beide machtlos dem Leid ausgesetzt. Das zu lernen, hatte das Glück den Jungen ziehen lassen, damit er bestärkt zurückkehre. Aber die Angst vor seinen eigenen Taten, seiner eigenen Vergangenheit hatte ihn zuerst zu einem Jünger der Unzulänglichkeiten, dann zu einem Opfer der zerstörerischen Urkraft des Chaos gemacht. Sie waren beide verloren, als er sich der falschen Überzeugung hingab, er hätte sein Glück vertrieben. Niemand kann sein Glück ausmerzen, denn das Glück ist jedem treu, selbst dem freiwillig Glücklosen.

>Es hielt lange durch, zehrte wie er von Erinnerungen an bessere Tage, in denen sie noch vereint waren. Doch die Zeit hinterließ auch an ihm ihre Spuren. Die Gänge in die Küche wurden langsamer und auch die Blicke zu Tür und Fenster schliefen ein. Bald konnte es nicht mehr aus dem Bett steigen, bald musste es kämpfen, den Kopf über der Decke zu halten. Das einzige, was es noch am Leben hielt, war die Gewissheit, er würde kommen.

Es war an der Zeit. Instinktiv führte ihn sein schwacher Schritt, geleitet von all den Illusionen, nach all den Irrjahren in einer Anwandlung von Hoffnung wieder auf seine alten, einst glücklichen Wege. Als er seine Stadt, seine Straße wiedererkannte, schoss das Adrenalin durch seinen Körper, wie es es einst tat, als er in die Welt aufbrach. Plötzlich waren seine Sorgen weggeblasen in die hinterste Ecke seines Bewusstsein, an vorderster Front stand nun die Zuversicht in großen Lettern. Plötzlich wusste er, sein Glück hatte ihn nicht vergessen. Es wartete die ganze Zeit über auf ihn, seit er fortgegangen war. Er ging den Heimweg, so schnell er nach all den Strapazen konnte. Mit strahlenden Augen kam er vor seinem Haus zu stehen.

Es brauchte einige Zeit, bis er den Schlüssel aus seinem Beutel gekramt hatte, ganz unten war er, begraben von allerlei Gedenkstücken an Miseren. Als er den Beutel packte, dachte er ja auch nicht, dass der Schlüssel irgendwann wieder aufsperren würde. Aber jetzt hatte er ihn wieder in der Hand, seinen Schlüssel zum Glück.

Er drehte ihn im Schloss um, öffnete die Haustür und trat ein. Dann wusste er es. Es rückte sein Leben, seine Gefühle wieder ins Lot, kappte seine neu gewonnene Hoffnung an der Wurzel. Die Kraft floh wieder aus seinem Körper. Er war wieder vergreist wie zuvor, doch es war schlimmer, denn zur Hoffnungslosigkeit gesellte sich die Gewissheit.
Es hatte ihn nicht vergessen und hatte die ganze Zeit auf ihn gewartet. Er war zu spät.

Das Glück hatte ihn nicht verlassen.

Dieser Text gehört zur Encyclopedia felicis, einer Reihe von Texten über das Glück. Erstmals erschien er im Kopftheater.



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