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Warum Sätze unterwegs passieren journal// Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag

6.6.2022

Nachdem ich es in den vielen Schilderungen in Romanen nur für ein fantasievolles Gerücht, ein Nachweinen früherer Lebens- und Weltlangsamkeit und gleichzeitiges permanenter Abenteuerlichkeit, etc. gehalten habe, aber mit zunehmendem Kontakt mit den gezwungenermaßen Jetsettenden und trotzdem relativ Mittellosen dieser Welt reale Beispiele mitbekommen habe, versuchte ich es nun selbst. Also sitze ich auf meiner Rückreise im Speisewagen.

Natürlich ist die Strecke Wien-Linz für derartige Erlebnisse, wie sie niedergeschrieben passieren oder auf Heimreisen nach ausladenden Abenden in größerer Gesellschaft, zu kurz und auch die Uhrzeit – ich stieg vier nachmittags ein – dem ganzen Unterfangen nicht dienlich. Und so sitze ich hier, lese Gianfranco Calligarich, weil ich den Murakami aus der Bahnhofsbuchhandlung schon auf dem Hinweg durchgebracht habe, trinke Zitronenlimonade und lächle unter meiner Maske den Menschen hinter der Bar zu, entschuldigend, dass ich mich in einer romantisierenden Verwirrtheit hier her, an diesen Ort angeblicher Ereignisse, ganz ohne Ereignis verirrt habe. Allerdings waren die Sitze in der zweiten Klasse wiedermal spärlich.

Diese Notiz habe ich heute in gemacht. Solche kurzen Texte / Einfälle / Geschichten mache ich ab und an, doch fast immer nur dann, wenn ich irgendwie aus dem Alltag gerissen oder gefallen bin. Zuhause passieren mir scheinbar Gedanken anders. Warum diese faux-tagebuchartigen Einträge, die – mal mehr, mal weniger – Allgemeingültigkeit zu besitzen scheinen? Ob es was damit zutun hat, dass ich insgeheim etwas wie Patti Smiths M Train – immer noch ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt für mich – schreiben will? Man kann nur spekulieren.

Auf jeden Fall blätterte ich bei dieser Gelegenheit in meinem Buch herum, das dieser Tage größtenteils aus Theaternotizen besteht, und fand folgende sich einzuordnen versuchende Zeilen aus geografischer Herausgerissenheit:

3.4.2022

Ich bin das erste Mal seit Jahren in Bremen, eine Stadt, die ich für mich und mein Selbstverständnis zutiefst mit den entscheidenden Entwicklungsschritten in meinem Denken und damit mit meinem Leben en large verbinde und eine Stadt, die ich trotzdem nur in sehr kleinen Bruchstücken und zerissenen Erinnerungen kenne.

Ich bin hier, um das Leben eines Menschen, der ebenso wie die Stadt entscheidend für mein Selbstverständnis war, zu feiern. Wie zu so vielen, war ich auch zu ihm in den letzten Jahren nicht im Stande, in Kontakt zu bleiben. Deshalb macht mir die Feier etwas Angst.

Aktuell sitze ich also in einem Café und warte, bis ich in mein Hotelzimmer darf. Ich mache mir Gedanken über antike Heldinnen und ihre Bezugspunkte ins aktuelle Gesten. Seit einiger Zeit bin ich abgelenkt von einem Mann, einige Tische vor mir, der aussieht wie ein junger Ralph Fiennes.

iterationen ist mein digitales journal.

Iterationen deshalb, weil das hier eine neue Iteration einer alten, sich entwickelten Instanz ist, aber auch weil sich hier immer neue Iterationen von Gedanken finden werden.