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Fliegen wollen archiv// Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag

Kai wollte weg. Wie, war ihm zunächst egal, Hauptsache war, dass er wegkam. Erst als man ihn fragte, wie er denn wohin wollte, fing er an, sich Gedanken über das Wie, Wann und Wohin zu machen. Nach reiflicher Überlegung kam er zu der Überzeugung, dass er mindestens fünf Tagesreisen weit reisen wollte, das so bald wie möglich. Und er wollte fliegen.
Kai war ein Igel. Er war Teil einer recht großen Population, angesiedelt seit Unzeiten mitten im Central Park. Viele widrige Umstände wie die steigende Mader- und auch Uhuanwesendheit im sonst so gemütlichen Park hatten seine Familie nicht vertreiben können. Er war also ein Kämpfer. Aber ein Flug über fünf Tagesreisen schien all seinen Bekannten utopisch. Das war ihm egal. Denn er hatte sich schnell einen Plan zusammengedacht.
Als Erstes musste er sich eine dieser Häuser suchen, die die Kleineren der Riesen so hilfreicher Weise gerne aufstellten. Das war schnell getan, denn die New Yorker waren ein wahrlich igelfreundliches Volk. An jeder Ecke sprossen um diese Zeit die Heime aus dem Boden. Er verbrachte also einige Stunden damit, sich einzurichten. Immerhin würde es eine längere Reise werden, das hoffte er zumindest. Diese Reise wäre die Erfüllung seiner Wünsche, sein Everest. Doch es gab noch viel zu tun.
Denn der nächste Teil seines Gefährts war um einiges schwerer zu organisieren als das Haus. Er musste etwas auftreiben, das seine vier Wände fliegen lassen würde. Techniker, der Kai war, versuchte er es mit Flügeln, wie sie die Vögel hatten, aber als er einmal dagegen stieß, flog ihm dieser Flügel auf den Kopf. Daraufhin musste er erstmal Schlafengehen. Als er am nächsten Nachmittag nach Draußen kam, äußerst benommen von dem Schlag und betrübt von dem Misserfolg, warf er all seine Pläne über Bord. Ohne etwas zu seinen Eltern oder Geschwistern zu sagen, ohne auch nur irgendeine Art von Proviant vorzubereiten, ging er los. Nun sind Igel nicht die schnellsten unter den Parkbewohnern. Er würde wohl Tage brauchen, um erst aus den Grünanlagen zu kommen.
Er trottete also gerade so über Sheep Meadow, als es auf ihn zukam. Ein weißes Ungetüm. Mitten in der Luft. Da kam ihm die Idee. Schnell sprang er auf den Plastiksack, sodass er nicht mehr davon konnte, dann lief er mit dem Ding im Maul schnellsten Weges zurück.
Bald war der Ballon montiert und mit ihm wuchsen auch die Hoffnungen in unserem kleinen Igel wieder an. Am nächsten Morgen wollte er seine Expedition starten. Davor hieß es erstmal ordentlich Energie tanken. Also Essen bei Mutti-Igel.
Morgens waren sie dann alle da, um ihn zu verabschieden und ihm Glück zu wünschen. Das Wetter war perfekt, leichter Wind von hinten.
Abheben. Steigflug. Nach unten winken, aber lieber erstmal nicht zuviel bewegen, sonst Fallen. Stakkatoatmen.
Vor lauter Aufregung dachte er erstmal an nichts und das nur in unzusammenhängenden Worten ohne Kausalitäten. Aber als sein Gefährt stieg, sank sein Adrenalinspiegel und er konnte sich umblicken. Erst jetzt bemerkte er, wie hoch er schon gekommen war. Dabei hatte er in all seinen Ausführungen nie an die Vertikalität seines Unterfangens gedacht und jetzt war er schon auf Höhe des zweiten Astloches. Er erwartete Angst, aber sie war nicht da. Stattdessen entdeckte er die frische Luft und die unglaubliche Ferne, die er erreichen wollte. Dort musste alles besser sein, dort wo das Grün in Grau überging.
Es ging vorwärts, seine Heimatwiese hatte er schon längst hinter sich gelassen, wie er bei einem Blick nach unten, der ihm einiges an Überwindung kostete, merkte. Alles lief großartig, er kam schnell und ohne Probleme voran.
Da sah er etwas Schönes. Eigentlich das Schönste. Wir würden es Schmetterling nennen. Er kannte es nicht, wollte es aber haben. Also musste er es sich nehmen. Es war recht einfach: Etwas aus dem Ballon lehnen und greifen.
Fallen.
Fallen. Tausend Tode sterben. Trotzdem noch leben. Wohl bis zum Landen.
Fallen.
Aufkommen. Gedanklich tot sein. Das schöne Ding im Himmel verteufeln. Die Augen öffnen. Weiterleben.
Kai verstand gar nichts. Nur, dass sein Abenteuer aus war.
„Willkommen im Central Park Zoo! Ich bin Joe. Wer bist du für ein Vogel, der nicht fliegen kann?“
„Ich bin Kai, und ich bin ein Igel. Fliegen kann ich nicht, nur Abstürzen. Was bist du für ein Wesen? Ein Riesenriese?“
„Ich bin eine Giraffe. Joe, die Giraffe. Ganz easy.“
„Cool. Du bist ziemlich groß, Joe. Da hast du’s gut. Siehst die ganze Welt, bis dorthin wo das Grün zu Grau wird. Dort wollte ich hin. Und jetzt kann ich es nicht einmal mehr sehen. Von nun an werde ich der unglücklichste Igel auf der ganzen Welt sein!“
„Achwo! Igel Kai, heute ist dein Glückstag! Joe findet es nämlich sehr mutig, als so kleines Tier, so hoch zu fliegen. Deswegen will ich dir helfen. Kannst du klettern? Dann kletter‘ mal hoch, bis auf meinen Kopf!“
Und so wurden Kai, der fliegende Igel und Joe, die coolste Giraffe, die New York City je gesehen hatte, zu Freunden. Symbiose.

iterationen ist mein digitales journal.

Iterationen deshalb, weil das hier eine neue Iteration einer alten, sich entwickelten Instanz ist, aber auch weil sich hier immer neue Iterationen von Gedanken finden werden.