Plötzlich haben wir uns die Welt aus dem Kopf getanzt. Wir waren heimgegangen und nun lagen wir zwischen vergangener Nacht und herannahendem Morgen. Wir lagen nun zwischen Gestern und Heute, zwischen dem Ja und dem Nein, zwischen all dem, was bereits gesagt wurde und noch ausgeschwiegen wurde. Wir waren mitten in unseren Zwanzigern, die Hoffnung hatten wir uns an die Haustür geklebt, gesucht hatten wir sie zwischen Zeit und Raum der Momente, die wir längst hinter uns hatten, zwischen dem, was noch vor uns lag und einen Weg, den wir noch nicht beschritten hatten. Wir hatten nach der großen Liebe gesucht und allzu oft temporäre Zuneigung gefunden, zwischen dem Vielleicht und Bald, in der Hoffnung auf die Dauerhaftigkeit.
Wir waren Linien an der Wand, parallel laufend gewesen, du meintest, es wäre traurig, weil sie sich nie berührten, aber es war besser als sich nur einmal zu kreuzen, wie normal aufeinander zu stehen, sich im Kreis zu drehen, sobald man uns in Bewegung setzt. Drehen, durchdrehen, abdrehen, das Leben aufdrehen – wir hatten das bereits alles gelernt. Vor lauter Drehen hatten uns unsere Füße wehgetan, wir hatten uns den Kopf leergetanzt, wir waren in halbkaputten Schuhen nachhause gelaufen, noch nicht sicher wo das für uns ist, aber weg aus der dampfenden Wolke, die sich aus zu lauter Musik und zuviel Alkohol aufgebaut hatte.
Weg, die Straße entlang, links, an der Bushaltestelle, wir hatten weitergetanzt, langsam zueinander gedreht, ineinander verschlungen. Wir drehten, drehten, drehten am Schicksal, an den großen Fragen des Lebens, die wir jetzt noch nicht beantworten konnten, wir drehten am Kompass, unser Norden war die Hoffnung, wir drehten uns für die Hoffnung, hoffend, dass das Leben einmal gut zu uns sein würde. Die Bushaltestelle mutierte zu unserem Tanzsaal, ganz nach unserem Geschmack, wir tanzten Walzer, die Sternenkronleuchter drehten sich mit uns. Niemand war da, wir waren allein, wartend gefangen, aber wild, frei, wundertoll, das Ende noch ungewiss.
Wir hörten die Pauken der Vergangenheit, die falschen Töne im Orchester, unser Kopf drehte sich, und wir mit ihm mit, unser Groschen war noch nicht gefallen, wir drehten ihn noch fleißig. Es war noch kalt, die Luft zog in unsere Lungen, sie hielt uns wach, die kleinen Schnapsflaschen waren unser Champagner, wir tranken auf das Leben, das uns zu oft schon enttäuscht hatte, uns die Eintrittskarte für das bessere Leben verwehrte. Du holtest Zigaretten aus deiner Jackentasche, wir bliesen uns die Verachtung unserer Jugend aus den Lungen, zum Schreien waren wir zu müde.
Mit Zigaretten in der Hand, über die Schulter des jeweils anderen tanzten wir weiter, die Nacht war noch jung. Niemals waren wir die Asche, wir verweigert den Tag, in der Nacht lebten wir, unsere Gedanken tanzten wie aufgewirbelter Staub. Ich schmiegte mich an dich, ich wollte mich festhalten, die Gedanken kreisten im Kopf umher, du mutiertest zu meinem Hydranten, ich drehte mich um dich. Wir stiegen in den Bus, du legtest deinen Arm um mich, wir betrachteten die Stadt als würden wir sie zum ersten Mal sehen. Die Lichter tanzten weiter, immer im selben Takt, sie waren noch nicht müde. Die Füße verschränkten wir, die lose Abwehrhaltung, mehr war uns nicht mehr möglich zwischen dem Gestern und Heute. Du warst nicht außer Atem gekommen, Hydraten kamen nicht außer Atem, dein Brustkorb hob sich sachte und senkte sich ebenso. Deine Hand legtest du auf meine Beine, sie durften ruhen, wir hatten lange genug getanzt, unsicher, ob sie meine Hände nochmals sanft nehmen sollten und mich noch einmal drehen sollten. Wie die Sonne sich um die Erde drehte, so hatten wir uns gedreht, der eine verbrannte, während der andere näher kam, irgendwann würde es wohl so weit sein. Immer zwischen Spannung und Anspannung. Wir verschmierten die Fenster zum Abschied mit unseren Namen, niemand würde mehr wissen, wer wir waren, unsere Namen ein Bild unser Selbst. Die Namen würden bald vergehen, doch wir waren Musik, Lied, Strophe, Hauptsatz, Seitensatz, Sequenz, Vorsatz, Nachsatz, Takt. Du warst Leitmotiv, meine emotionale Kadenz, meine Bluenote, meine Bridge und mein Solo. Wir waren das Thema und seine Variation, wir waren Dux und Comes, Reprise und Wiederholung.
Gehalten vom Leben humpelten wir die Straße hoch, beinahe hätten wir den Asphalt geküsst, er kühlte langsam aus, die Beine taten uns weh. Manche Randsteine fehlten bereits, wie Erinnerungen, die wir nicht mehr wollten und vergessen hatten, oder so taten, als hätten wir sie vergessen. Es war schwierig, nicht in die Löcher zu fallen nicht in die Kippen, die zu hundert auf dem Boden lagen. Endlich da, wo wir hin wollten, wir waren da, wir saßen lachend auf der Straße, weil der Schlüssel nicht in das Schloss finden konnte, die Meisterübung zwischen den Tagen, die bereits vergangen waren und noch vor uns lagen. Wir schafften uns die Treppen hoch, viel zu laut, wir würden die Nachbarn mit unserem Gelächter wohl wecken, es war uns in diesem Moment egal, wir drehten uns, und das Leben tat es uns gleich. Die Haustüre schoben wir nach innen, die Schuhe warfen wir weg, wir waren eine Fabel ohne Tiere, wir waren die Realität ohne Bezug, Sätze ins Leben geschrieben, ohne größere Moral.
Realitätsfern tänzelten wir ins Badezimmer, die Dusche war ein Kurzflug zwischen dem Stempel, der uns aufgedruckt worden war und seinen Resten auf dem Handgelenk. Die Haare waren noch feucht, in Handtücher gewickelt hatten wir uns ins Bett getanzt, der Dampf aus dem Bad begleitete uns, er machte sich auf die Reise aus dem Fenster, wir wünschten ihm viel Glück. Wir lagen nun da, Arm in Arm, das Fenster hatten wir geöffnet, es war eigentlich viel zu kalt dafür, wir wollten die kalte Brise spüren, die uns die Gänsehaut auf den ganzen Körper trieb, so wie Bewegung der Fingerspitzen auf dem Körper des jeweils anderen. Die Haare rochen nach Hoffnung und Fantasie, nach dem Mittelmeer, nach botanischen Gärten, nach Zeiten, die noch nicht angebrochen waren. Wir lagen hier, schweigend, den Kopf ausgetanzt, eingerollt in den Handtüchern zwischen dem Wachzustand und dem Traum. Der Wind wehte sich in alle Himmelsrichtungen, die Sternenkronleuchter schwankten noch langsam, bevor ihnen nach und nach das Licht ausging. Kondensstreifen am Horizont konnten wir entdecken, wir waren zu müde, unsere Reise ging im Heute nicht mehr weit. Die Vögel fingen an ihre Melodien zu singen, wir wollten nicht mehr tanzen, wir hörten dem Orchester zu, traumschwanger zu der Wirklichkeit getrieben, die Hände genau da. Die Sonne hatte bereits ihren Tanz begonnen, wir liegen da, zwischen Heute und Morgen1.
1 Glück das, -s/-: etwas, was Ergebnis des Zusammentreffens besonders günstiger Umstände ist; besonders günstiger Zufall, günstige Fügung des Schicksals (vgl. Duden 2014, o.S.)
Katharina Peham, Jahrgang 1990, schreibt und dichtet unter der Namen katkaesk. Worte über das Glück, die Hoffnung und das Leben sind auf katkaesk.com zu finden.